Herbstzeit ist Pilzsammelzeit. Doch nicht nur Knollenblätterpilz und Co. können schwere Vergiftungen hervorrufen. Gerade für Kinder lauert auch in Haushalt und Garten eine ganze Reihe von Gefahren. Putzmittel, giftige Pflanzen, Medikamente: fast 90 Prozent aller Vergiftungsunfälle betreffen Kinder unter 6 Jahren. Göran Donner, Vizepräsident und Pressesprecher der Sächsischen Landesapothekerkammer, weiß, vor welchen Substanzen man Kleinkinder schützen sollte und was im Notfall zu tun ist.
Herr Donner, was macht gerade Kleinkinder so anfällig für Vergiftungsunfälle?
Kleine Kinder können noch nicht beurteilen, welche Stoffe gefährlich für sie sind. Sie lassen sich von den bunten Farben einer Substanz oder ihrer Verpackung verführen und halten dann z. B. Putzmittel fälschlich für Saft oder Tabletten für Süßigkeiten. Tatsächlich sind Medikamente bei Kindern in fast 50 Prozent aller Fälle die Ursache für Vergiftungen, weil Erwachsene sie oft leichtfertig offen herumliegen lassen. Das betrifft Beruhigungsmittel, Schlafmittel, Herz-Kreislauf-Mittel, Psychopharmaka oder Schmerzmittel ebenso wie scheinbar „harmlose“ Nasensprays oder Augentropfen. Im Haushalt folgen Reinigungsmittel sowie Kosmetika als wichtigste Vergiftungsursache, im Freien giftige Pflanzen. Auch Pflanzenschutz- und Autopflegemittel stellen eine Gefahr dar. Dass Rauschdrogen, also auch Alkohol und alle nikotinhaltigen Produkte, nicht in Kinderhände gehören, versteht sich von selbst.
Bei welchen Symptomen sollten Eltern denn eine Vergiftung in Betracht ziehen?
Vergiftungen können sich ganz unterschiedlich äußern. Bei Rötungen, Reizungen, Schmerzen und Schwellungen in Mund und Rachen, aber auch bei Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen kommen Eltern meist recht schnell auf die Idee, dass eine giftige Substanz dahinterstecken könnte. Doch auch Schwindel, Kopfschmerzen, Müdigkeit und Unwohlsein unklarer Ursache können auf eine Vergiftung zurückgehen. Eltern sollten zudem wissen, dass die Symptome mitunter deutlich zeitverzögert auftreten, bei manchen Giftpflanzen sogar erst nach 24 Stunden. Höchste Alarmstufe herrscht, sollte es zu Atemstörungen, Bewusstlosigkeit und Herz-Kreislauf-Stillstand kommen.
Und was ist im Notfall zu tun?
Bei Verdacht auf eine Vergiftung muss immer zuerst und sofort der Notarzt unter 112 verständigt werden. Wichtig: neben Standort und Art des Unfalls unbedingt auch das Alter des Kindes angeben, Zustand und Symptome schildern und Rückfragen abwarten! Anweisungen, was zu tun ist, erhält man anschließend in der Giftnotrufzentrale, für Sachsen ist sie erreichbar unter Telefon 0361-730 730. Hier will man u. a. noch wissen, was, wie viel und wann es vermutlich eingenommen wurde. Falls möglich, sollte man das mutmaßliche Gift (Reste, Verpackung etc.) und ggf. Erbrochenes sicherstellen – das hilft dem Arzt.
Bis zum Eintreffen des Notarztes können dann – je nach Art der Vergiftung und Zustand des kleinen Patienten – unterschiedliche Maßnahmen notwendig sein. Ist das Kind bewusstlos, bringt man es in die stabile Seitenlage und kontrolliert die Atmung. Setzt diese aus, muss man unverzüglich mit der Herz-Lungen-Wiederbelebung beginnen. Keinesfalls darf man selbst Erbrechen auslösen, es besteht nämlich die Gefahr, dass ätzende Stoffe die Speiseröhre schädigen und/oder Erbrochenes auch in Luftröhre und Lunge gelangt. Auch Kohlepräparate sollte man nur nach Rücksprache mit dem Arzt oder dem Giftnotruf geben.
Oft hört man den Rat, dem kleinen Patienten etwas zu trinken zu geben. Was halten Sie davon?
Zu trinken geben sollte man dem Kind nur, wenn Notarzt oder Giftnotruf es ausdrücklich empfohlen haben. Geeignet sind dann Wasser, Tee oder Saft in kleinen Schlucken. Milch dagegen kann die Aufnahme der Giftstoffe beschleunigen und ist daher völlig ungeeignet. Einen Sonderfall stellen Vergiftungen mit schaumbildenden Substanzen dar, etwa Shampoo oder Spülmittel: Hier ist Nachtrinken ein fataler Fehler, da es die Schaumbildung weiter anregt – Schaum kann in die Lunge gelangen und dort Atemnot auslösen. Stattdessen können Eltern zwei Teelöffel Entschäumertropfen aus der Apotheke verabreichen, die sonst zur Minderung von Blähungen angewendet werden.
Sind ätzende Flüssigkeiten, Säuren oder Kalk auf die Haut oder in die Augen gelangt, spült man die betroffenen Stellen sofort gründlich (mindestens zehn Minuten lang) unter fließendem lauwarmem Wasser aus – falls ein Auge betroffen ist, dieses beim Spülen unbedingt offenhalten und vom gesunden Auge wegspülen. Benetzte Kleidung muss sofort entfernt werden. Anschließend werden die betroffenen Körperstellen steril abgedeckt.
Was kann man tun, um Vergiftungsunfälle möglichst zu verhindern?
Damit es gar nicht erst zum Notfall kommt, sollte man gefährliche Substanzen immer außerhalb der Reichweite von Kindern aufbewahren und niemals in der Nähe von Lebensmitteln platzieren. Auf Nummer Sicher geht, wer auf kindersichere Verschlüsse achtet und Chemikalien nicht in leere Lebensmittel- oder Getränkeverpackungen umfüllt. Am besten verwendet man zudem nur Reinigungsmittel mit dem zugesetzten Bitterstoff „Bitrex“, der Kinder am Verschlucken der Substanz hindert. Tabak- und Zigarettenreste sollten umgehend entsorgt werden, Nikotinkaugummis jederzeit kindersicher aufbewahrt werden. Eltern kleiner Kinder sollten in Haus und Garten auf giftige Arten verzichten und ihre Kinder dazu erziehen, Blumen und Beeren nie alleine zu pflücken. Arzneimittel sind in einer abschließbaren Hausapotheke oder an einem für Kinder nicht erreichbaren, kühlen und trockenen Standort am besten aufgehoben. Sollte doch einmal der „Ernstfall“ eintreten, gilt: Ruhe bewahren! Nur wer nicht in Hast und Panik ausbricht, kann schnell sein Kind beruhigen und die richtigen Maßnahmen ergreifen.