Die Temperatur ist günstig, der Wind steht richtig und Rauhautfledermäuse aus Nordosteuropa hält nun nichts mehr zurück. In der Nacht vom 20ten auf 21ten August begannen Millionen von Fledermäusen aus Nordosteuropa ihre Migration in Richtung südliches und westliches Europa, ein Spektakel, das im Gegensatz zum herbstlichen Vogelzug noch nicht die Aufmerksamkeit hat, die es verdient.
Fledermausforscher nahe der lettischen Ortschaft Pape standen an der Küste und beobachteten ein atemberaubendes Schauspiel. Über den Köpfen der Forscher huschten im Sekundentakt nächtliche Schatten vorbei. Ein Teil der Fledermäuse sollte in einer Trichterfalle gefangen werden, die im Rahmen einer Kooperation zwischen dem Berliner Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) und der Lettischen Universität in Riga betrieben wird. Diese Nacht schlug alle bisherigen Rekorde. Insgesamt fingen und beringten die Fledermausforscher mehr als 1.500 Fledermäuse.
Nach der Beringung setzten die Tiere ihre Reise gen Südwesten fort. Eventuelle Widerfunde sollen wichtige Informationen über die Zugwege und Überwinterungsgebiete der Fledermäuse liefern. Diese sind für die europäischen Fledermäuse noch längst nicht bekannt. „Wir wissen allerdings, dass einige der hier beringten Rauhautfledermäuse bis nach Südengland oder in die französische Bretagne und Provence fliegen“ fasst der lettische Fledermausforscher Gunārs Pētersons die bisherigen Beringungsfunde zusammen.
„Wir tappen bezüglich der Fledermausmigration großteils wortwörtlich im Dunkeln“ erklärt Christian Voigt, Wissenschaftler am Berliner IZW. Aufgrund ihrer nächtlichen Lebensweise und fast lautlosen Fortbewegung ist die Beobachtung von Fledermäusen eine echte Herausforderung. Lediglich einige Wiederfunde von beringten Tieren und die akustische Erfassung der Echoortungsrufe migrierender Fledermäuse lassen das Ausmaß der jährlichen Wanderbewegungen erahnen. Jedes Jahr ziehen im Frühling und Herbst Millionen von Fledermäusen zwischen ihren Fortpflanzungsstätten in Nordosteuropa und den Überwinterungsgebieten im Süden und Westen Europas.
„Diese jährlichen Wanderbewegungen bergen zahlreiche Superlative – auch wenn dies bisher der Öffentlichkeit kaum bekannt ist. Die 7 g schwere Rauhautfledermaus beispielsweise kann jedes Jahr mehr als 4.000 km zurücklegen. Diese Wanderungen übertreffen bezüglich Kopfzahl und zurückgelegter Distanz alles, was für Säugetiere bekannt ist. Selbst die wandernden Herden der Gnus in der Serengeti und die sie verfolgenden Tüpfelhyänen legen keine größeren Distanzen zurück“ schwärmt Christian Voigt. Wie Fledermäuse es jedoch schaffen, solch weite Distanzen zurückzulegen, ist bisher völlig unklar. Für einen effizienten Schutz der Tiere wäre es daher sehr wichtig, ihre Rastgebiete und Zugkorridore zu kennen.
Wandernden Fledermäusen drohen vielerlei Gefahren auf ihrem Weg. Die Intensivierung der Landwirtschaft und der Einsatz von Insektiziden reduziert die Zahl der Insekten, die als Beute zur Verfügung stünden. Diese sind für wandernde Fledermäuse wichtig, da ihnen vermutlich ohne Insekten in der nächtlichen Luft der „Treibstoff“ für die Strecke fehlt.
In jüngster Zeit nimmt eine neue Gefahr ungeahnte Ausmaße an. Der Ausbau der Windenergie in Europa fordert seinen blutigen Zoll: Wissenschaftler schätzen, dass jedes Jahr mehrere Hunderttausend Fledermäuse allein in Deutschland an Windkraftanlagen sterben, wenn diese während der Zugzeit in der Nacht nicht abgeschaltet werden. „Gerade ziehende Fledermäuse kommen in die Nähe von Windkraftanlagen, da Fledermäusen während der Migration vermutlich in der Höhe fliegen, in der sich die Rotorblätter von Windkraftanlagen drehen. Die Fledermäuse sterben dann entweder durch die enormen Druckschwankungen, die die drehenden Rotorblätter bewirken, oder kollidieren häufig direkt mit den Rotorblättern. Während der Herbstmigration sterben deshalb Tausende von Fledermäusen“ sorgt sich Christian Voigt. Würde man die Windkraftanlagen zur kritischen Zeit abstellen, wäre der wirtschaftliche Verlust für die Windkraftbetreiber sehr gering, der Nutzen für den Artenschutz jedoch enorm. Dies liegt daran, dass Fledermäuse vorzugsweise bei geringen Windgeschwindigkeiten fliegen und Windkraftanlagen ohnehin erst ab drei bis fünf Metern pro Sekunde Windgeschwindigkeit nennenswert Energie produzieren. Trotzdem drehen sich die Anlagen auch bei geringeren Windgeschwindigkeiten und reißen dabei die Fledermäuse in den Tod. In Nordamerika haben sich deshalb die Windkraftbetreiber mit den Naturschützern darauf geeinigt, die Rotorblätter erst dann drehen zu lassen, wenn die Windgeschwindigkeit hoch genug ist, um Energie effizient zu produzieren. Ein Vorbild, welchem man in Europa leider noch nicht nachkommt.
In Pape beginnt langsam die Morgendämmerung. Erst jetzt können sich die zahlreichen Helfer auf den wohl verdienten Schlaf freuen. Am 20ten August konnten sie sechs Arten in der Falle registrieren, darunter seltene Arten wie die Zweifarbfledermaus, das Braune Langohr und die Bartfledermaus. Das Gros der gefangenen Fledermäuse setzt sich jedoch aus zwei Arten zusammen: Rauhautfledermäuse und Mückenfledermäuse. Die Mückenfledermaus wurde erst vor wenigen Jahren wissenschaftlich beschrieben. Das Überleben dieser und anderer ziehender Fledermausarten hängt nun von unserer Einstellung gegenüber und Aktivitäten in der Natur ab. Fledermäuse stehen in Deutschland sowie der gesamten EU unter strengem Naturschutz. Nur wenn die Landwirtschaft naturschonend betrieben wird und die Nutzung erneuerbarer Energie tatsächlich nachhaltig ist, also ohne Verluste von Fledermäusen und Vögeln an Windkraftanlagen praktiziert wird, werden wir auch in Zukunft ziehende Fledermäuse an unserem Nachthimmel beobachten können. (Forschungsverbund Berlin e.V.)