Senckenberg-Wissenschaftler haben die Schmetterlingsart Erebia nivalis und deren Überlebensstrategie im Hochgebirge untersucht. Sie kommen zu dem Schluss, dass sich die kleinen Mohrenfalter einerseits spezialisiert haben und andererseits auch opportunistisch verhalten, um mit den großen Höhen und Wetterextremen zurecht zu kommen. Hierfür haben die Schmetterlinge besondere Taktiken bei ihrer Fortpflanzung und Ernährung entwickelt. Die Studie erschien kürzlich im Fachjournal „Insect Science“.
Extreme Lebensbedingungen erfordern extreme Anpassungen – dies gilt auch für die Schmetterlingsart Erebia nivalis. Der kleine rotbraune Tagfalter ist nur in Höhen über 2000 Metern in den Alpen zu finden. „Wir wollten wissen, wie so ein zartes Tier unter extremen Hochgebirgsbedingungen überleben kann und welche Strategien die Falter dabei verfolgen“, erklärt Prof. Dr. Thomas Schmitt vom Senckenberg Deutsches Entomologisches Institut in Müncheberg.
Schmitt und seine Kollegen haben zu diesem Zweck von Juli bis August 2013 eine großangelegte Feldstudie im österreichischen Nationalpark „Hohe Tauern“ durchgeführt. Insgesamt 1.386 Schmetterlinge fing das Wissenschaftlerteam in dieser Zeit – die Insekten wurden markiert, verschiedene Kriterien, wie Alter, Verhalten und Geschlecht aufgenommen und dann wieder freigelassen. „Immer wenn es das Wetter zuließ, sind wir auf Falterjagd gegangen – insgesamt 342 der bereits markierten Tiere gingen uns wieder ins Netz“, fügt Schmitt hinzu. Mit dieser „Rückfangmethode“ kann man beispielsweise Verbreitung, Flugrouten und Nahrungsquellen der Tagfalter untersuchen.
„Normalerweise passen sich Schmetterlinge mit zwei Methoden an einen Lebensraum an: entweder sie spezialisieren sich auf eine bestimmte Nische oder sie leben generalistisch und kommen fast überall zurecht“, erläutert der Müncheberger Insektenforscher und fügt hinzu: „Die von uns untersuchten Mohrenfalter Erebia nivalis wählen aber einen anderen Weg – sie sind sozusagen spezialisierte Opportunisten!“
Die Falter mit den leicht bläulich schimmernden Flügeln haben ihre eigene Strategie entwickelt, um in den Hochgebirgen und mit den dort herrschenden extremen Wetterbedingungen zurecht zu kommen. Die Untersuchungen zeigen, dass die Falter zum Beispiel ihren Lebenszyklus an die außergewöhnlich harten Bedingungen des Hochgebirges angepasst haben. Andere Schmetterlingsarten schlüpfen häufig nach Geschlechtern getrennt – erst sind die Männchen an der Reihe, dann mit einigen Tagen Abstand die Weibchen. So gewährleisten beide Geschlechter ihre Fortpflanzung: Die Weibchen können direkt von den bereits anwesenden Männchen befruchtet werden; die Männchen sparen sich lange Flüge, um weibliche Tiere suchen zu müssen.
„In Hochgebirgen kann es aber bei diesem Prozedere im schlechtesten Fall zur völligen Auslöschung einer Generation männlicher Tiere kommen – zum Beispiel bei starkem Schneefall“, ergänzt Schmitt und fährt fort: „Erebia nivalis hat sich hier raffiniert angepasst: Nur ein Teil der Männchen schlüpft früher und genießt die damit verbundenen Vorteile; der Rest entpuppt sich zeitgleich mit den Weibchen und entgeht damit der Gefahr des vorzeitigen Todes.“
Auch bei ihrer Ernährung schlägt die Mohrenfalterart einen eigenen Weg ein. Die Schmetterlinge steuern zwar unterschiedliche Pflanzen an, die sich sowohl in ihrer Art, als auch in der Farbe und Größe der Blüte unterscheiden, dennoch werden diese sehr genau ausgewählt. Schmitt hierzu: „Man könnte sagen, dass die Falter ‚naiv’ schlüpfen, sich dann aber durch einen rapiden Lernprozess auf bestimmte Pflanzen spezialisieren.“ Um ihre bevorzugten Nahrungsquellen zu finden, legen die Falter weite Strecken zurück und sind daher nicht auf ein Habitat beschränkt – ein typisch generalistisches Merkmal.
Schmitt resümiert: „Wir haben es demnach bei Erebia nivalis mit einem hochgradig an eine Nische adaptierten Generalisten zu tun: Was wie ein Widerspruch klingt, ist die raffinierte Überlebenstrategie dieses kleinen Falters.“ (Senckenberg)