BGL: Der Vorgarten zeigt, wie sehr wir Menschen mögen

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Der Spaziergang im Viertel ist während der letzten anderthalb Jahre zu einer wichtigen Freizeitbeschäftigung geworden. Es ist so schön, an der frischen Luft „mal eben um den Block" gehen zu können – als gemäßigte Bewegungsform zum Durchatmen und um den Kopf freizukriegen. Seither haben viele Menschen ihre Nachbarschaft, die eigene Straße, die Siedlung, die Umgebung erst so richtig kennengelernt. Denn längst nicht jeder hat einen Wald oder freie Felder direkt vor der Haustür, geschweige denn einen beschaulichen Park. Da es uns intuitiv aber dorthin zieht, wo es ruhig, grün und schön ist, flanieren wir entspannt entlang der Allee mit ihren schattenspendenden Bäumen, ohne intensiven Autoverkehr.
Doch solche grünen Straßen gibt es längst nicht überall. Wo der Gang durch die Nachbarschaft an Häuserwänden entlang stark befahrener Straßen führt, bleiben Lärm- und Stresspegel hoch. Besonders spürbar ist der Unterschied bei Straßen mit Mehrfamilienhäusern. Sie werden von „funktionalen Abstandsflächen" zum Gehweg bestimmt: Anonyme Plätze, die nützlich sind, weil sie Fahrradständer, Briefkästen und Mülleinhausungen beherbergen – zum Verweilen laden sie aber nicht ein. Diese Flächen verdienen oft das Wort „Vorgarten" nicht, denn hier bestimmen Steine das langweilige Bild, gern in verschiedenen Körnungen und Farben, nicht selten mit wenigen kümmerlichen Pflanzen bestückt. Wenn man Glück hat, ist wenigstens die Straße mit schattigen Bäumen gesäumt.

Lebendiger Vorgarten, lebendige Nachbarschaft

Ganz anders präsentieren sich gewachsene Wohnstraßen mit Einfamilienhäusern. Dort macht der Spaziergang Freude, denn es gibt in den abwechslungsreich bepflanzten Vorgärten viel zu entdecken. Zumeist leben hier Menschen, die es mögen, wenn Passanten den Schritt verlangsamen oder sogar stehen bleiben, um alles aus der Nähe zu bestaunen. „Viel Arbeit!", mag jemand als Alibi für seine Neugier dem Menschen zurufen, der gerade die Rosen schneidet. Nicht selten kommt dann zurück: „Ja, das stimmt, aber ich brauche meinen Garten und die starken Regenfälle haben die Rosen extrem mitgenommen!" Die Hobbygärtnerin schneidet eine Blüte ab, reicht sie dem kommunikativen Passanten und sagt: „Riechen Sie mal. Das ist die Rose ‚Westerland‘. Die hat mir mein Mann zum 25. Hochzeitstag geschenkt. Ist sie nicht fantastisch?"

Ein Gespräch nimmt seinen Lauf. Man erfährt, wie lange die Menschen schon hier wohnen, dass der Hausbaum bereits vom Vorgänger gepflanzt wurde und dass es ein erfüllendes Hobby geworden ist, sich um die Fläche rund ums Haus zu kümmern, seit die Kinder ausgezogen sind. „Zweimal im Jahr kommt der Landschaftsgärtner und erledigt die großen Sachen", hört man die Anwohnerin sagen. „Von ihm habe ich auch gelernt, dass es besser ist, die Stauden und Gräser bis ins nächste Jahr stehen zu lassen – besser für die Insekten und die Vögel. Mein Mann war anfangs eher für Ordnung, aber mittlerweile ist auch er stolz auf unser Biotop. Wir müssen ja alle unseren Beitrag zur Artenvielfalt leisten." Man verabschiedet sich lachend und freundlich. Auch im nächsten Garten blüht und gedeiht es. Dort gibt es sogar einen Sitzplatz mit dem Schild: „Hier dürfen Sie sich ausruhen!" Dies ist keine Utopie, solche freundlichen Straßen gibt es tatsächlich.

Erfolgreiche Initiative „Rettet den Vorgarten"

Als der Bundesverband Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau (BGL) e. V. vor vier Jahren seine Initiative „Rettet den Vorgarten" startete, waren die Schottergärten vor allem in Neubausiedlungen gang und gäbe. Mit positiven Beispielen und viel Information wurden und werden Gartenbesitzerinnen und -besitzer seitdem motiviert, sich mit vielen guten Gründen für artenreiche, grüne Vorgärten stark zu machen. Teil der Initiative ist auch die Facebookseite „Rettet den Vorgarten", die mehrmals pro Woche gelungene Vorbilder zeigt, aber auch Informationen zum Mehrwert bepflanzter Flächen gegenüber Schotter und Versiegelung liefert. Auf der Seite finden zwischen den rund 20.000 Followern rege Diskussionen statt.

Als in den letzten Tagen ein Foto von einer Straße mit allesamt artenreich bepflanzten Vorgärten innerhalb von einer Woche fast 400.000 Menschen erreichte, über 600 mal geteilt und mit über 2.000 Kommentaren ergänzt wurde, staunte der BGL nicht schlecht. Offensichtlich trifft eine solche Straße den Nerv der Zeit!

Vorgärten: neue Freiräume für nachbarschaftliches Miteinander

Im letzten Jahr waren wir alle so lange vom sozialen Leben abgeschlossen und auf die kleine Kernfamilie, das eigene Haus und den Garten zurückgeworfen, dass solche privaten Freiräume, die sich nach draußen öffnen, für viele von uns neue Traumgärten geworden sind. Nicht nur, dass sie das eigene Zuhause paradiesisch einrahmen und ein entspannendes und kreatives Betätigungsfeld schaffen; sie stehen auch für ein nachbarschaftliches Miteinander.

Waren die Schottergärten in Neubausiedlungen vermeintlich pflegeleichtes, schlechtes Vorbild, so sind artenreiche, kreative Vorgärten im besten Sinn ansteckend und schaffen freundliche, kommunikative Straßen. Das tut allen Beteiligten gut: den Anwohnern, den Familien, den Alten und den Kindern. Je mehr Menschen sich kennen und miteinander kommunizieren, umso schöner ist das Gefühl von guter Nachbarschaft und sozialer Sicherheit. (BGL)