Wieso gibt es Pilze das ganze Jahr hindurch?

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Wer Pilze kaufen will, wird das ganze Jahr hindurch fündig. Ob Champignons, Austernpilze, Shiitake-Pilze, (fast) immer werden sie angeboten. Wie kann das sein? Draußen in der Natur gibt es sie doch nur zu bestimmten Zeiten – die wilden Champignons, die Steinpilze und Pfifferlinge nur im Herbst, Austernseitlinge nur im Winter. Sind es also importierte Pilze im Supermarkt-Regal? So wie Kap-Weintrauben im Winter oder Äpfel aus Chile im Sommer? Nein, die Pilze vom Markt oder Supermarkt werden tatsächlich das ganze Jahr hindurch bei uns kultiviert. In den Kulturhäusern, in denen sie wachsen, spielt die Jahreszeit keine Rolle mehr.
Ein großer Schatz an Erfahrung steckt dahinter, den die Kulturpilzanbauer im Laufe von Jahrhunderten gesammelt haben. Am Anfang im 17. Jahrhundert stand das ungläubige Staunen eines französischen Gärtners, der auf den Resten seines Melonenbeetes plötzlich Champignons entdeckte. Wie kamen sie dahin? Pilze, so glaubte man damals, entstanden aus Ausdünstungen der Erde, aus Miasmen. Aber was dünstete hier aus? Steckte vielleicht doch anderes dahinter?
Weil die Pilze sich teuer an den Königshof verkaufen ließen, begann der Gärtner zu experimentieren, grub sie samt der Erde aus und verpflanzte sie an andere Stellen mit nährstoffreichen Pflanzenresten – der Beginn des professionellen Pilzanbaues. Jahrhunderte später folgte die Erkenntnis, dass Champignons sich mit kühlen Temperaturen überlisten lassen. Sie gaukeln ihnen Herbst vor und stimulieren sie, Fruchtkörper zu schieben. Daher begann man Ende des 19. Jahrhunderts Pilze in gleichmäßig kühlen Kellern und Gewölben zu kultivieren. Inzwischen ist klar, dass bei allen Kulturpilzen die richtige Temperaturführung den Erfolg der Ganzjahres-Kultur ausmacht.
Eine weitere wichtige Voraussetzung ist die richtige Feuchte. So wie herbstliche Regenfälle den Champignons günstige Wachstumsbedingungen signalisieren, muss das auch die Feuchte im Kulturhaus tun. Nur dann schiebt das Wurzelsystem, das Mycel, die Fruchtkörper, die wir als Pilze bezeichnen. In ihnen sitzen die Sporen, die sich nur im feuchten Milieu auf die Suche nach einer Partnerspore machen können. Erst mit ihr vereint entsteht ein neuer Pilz. Der erste Nachweis dieser Pilzvermehrung durch Sporen gelang dem italienischen Naturforscher Peter Anton Micheli im Jahr 1710. Trotzdem hielt sich die Vorstellung von Miasmen oder Urschleim als Quelle für Pilzwachstum sogar bei etlichen Wissenschaftlern noch bis ins 19. Jahrhundert. Heute züchten Pilzspezialisten durch gezielte Kombination von Sporen neue Pilzsorten, die zugleich schmackhaft, wüchsig, robust und sicher in der Kultur rund ums Jahr sind.
Viele Rückschläge lösten die Stoffe aus, auf denen die Pilze wachsen. Die nährstoffreichen Pflanzenreste, die man zu Anfang nutzte, boten auch Schimmelpilzen einen idealen Nährboden. Breiteten sie sich aus, überwucherten und zerstörten sie Mycel und sprießende Fruchtkörper. Nach vielen Versuchen kristallisierten sich Stroh und Pferdemist als besonders geeignete Bestandteile der Champignonsubstrate heraus. Sie werden heute durch Fermentation sorgfältig sterilisiert, ergänzt durch umfassende Hygiene. So verringerte sich die Gefahr, dass Schadpilze die Kultur zerstören, nachdrücklich. Gleichzeitig sind die Substrate so sauber, dass die Käufer ihre Pilze nicht mehr waschen müssen, bevor sie sie in der Küche verwenden. Das ist nicht nur bequem, Waschen macht Pilze auch wässrig und mindert das volle Aroma, das Pilzragouts, -soßen oder -suppen so köstlich macht. (GMH/BDC)