Wer traditionelle Tomatenraritäten zuhause im Garten anbauen möchte, hat es künftig etwas leichter, passendes Saatgut zu finden. Die Saatgutliste des Vereins zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt (VEN) ging im Rahmen einer Veranstaltung an der Universität Kassel-Witzenhausen online. Bisher konnte man in der gedruckten Liste nach Sorteneigenschaften suchen, oder sich direkt bei den Sortengärtnern beraten lassen.
Nun kann man auch online recherchieren und sogar nach Sorten-Eigenschaften vieler Gemüsearten suchen. Das ist eine Besonderheit unter den Sorten-Datenbanken, die selbst staatliche Genbanken nicht bieten, betont Ursula Reinhard vom VEN. Sie hat die Datenbank in jahrelanger ehrenamtlicher Arbeit erstellt und wurde dafür kürzlich mit dem Neumarkter Lammsbräu Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet.
Kulturpflanzensorten wurden im Verlauf der landwirtschaftlichen Geschichte gezüchtet. Moderne Sorten sind genetisch sehr einheitlich und durch jahrzehntelange Auslese genetisch verarmt. Sie haben nicht die für eine Anpassung an unterschiedliche Standorte oder den Klimawandel notwendige genetisch vielfältige Ausstattung. Die Vereinten Nationen haben in den 1980er Jahren vor dem Verlust der Kulturpflanzenvielfalt gewarnt und den Verlust schon damals auf drei Viertel aller Sorten geschätzt. Daraufhin wurde 1986 der VEN gegründet und seine Mitglieder begannen, Sorten zu erhalten.
Die Anzahl Sorten in seiner Saatgutliste wuchs beständig an, heute sind es weit über tausend Sorten. Sie werden von Erhaltern und Paten in ihren Gärten vermehrt und das Saatgut wird über die gemeinsame Liste angeboten und dezentral weiter gegeben. Nicht nur das genetische Material, auch Kenntnisse und notwendige Fertigkeiten werden dadurch gepflegt und weitergegeben und so für künftige Generationen bewahrt und vermehrt.
Wissenschaftliche Experten greifen gerne auf diese Kenntnisse zurück. Sie bedauern, dass in der Universitätsausbildung die landwirtschaftliche Botanik weitgehend durch Biotechnologie und Genetik abgelöst wurde. Der Nachwuchs kennt die Genome, aber nicht die Pflanzen, so brachte es ein Wissenschaftler auf den Punkt.
Ebenso ist die Samengärtnerei in der beruflichen Ausbildung nur noch Wahlfach. im Gärtnereihandwerk weiß kaum noch jemand, wie man selbst Saatgut produziert; selber züchten können nur noch wenige. Das wirkt sich verheerend auf die Sortenvielfalt aus.
Hinzukommt, dass die Saatgutindustrie die Sortenvermehrung in der Regel technisch oder rechtlich einschränkt. Wer deren eigentumsrechtlich geschützte Sorten vermehren und weitergeben will, so wie es Gärtner und Bauern über hunderte Generationen gemacht haben, muss Lizenzgebühren zahlen.
Nun steht erstmalig die der Saatgutliste zugrunde liegende Datenbank auch Online zur Verfügung. Die Sorten werden ausführlich beschrieben, viele mit Foto. Die Erhalter können kontaktiert und das Saatgut bei ihnen bestellt werden. Der direkte Kontakt mit dem Erhalter hat den Vorteil, dass Erfahrungen und Wissen weitergegeben werden können.
Kaum eine andere derartige Datenbank bietet die Möglichkeit, nach Sorteneigenschaften gezielt zu suchen. Die Sortenbeschreibungen werden durch einheitliche Kriterien nach und nach gezielt verbessert. Dem Verein kommt dabei die gesammelte Sortenkenntnis seiner Mitglieder und Sortenpaten zugute. Als Geistiges Eigentum dürfen diese Sorten nicht angemeldet werden, da sie bereits allgemein bekannt sind und seit langem weitergegeben werden.
Die Datenbank samt Technik, Dateneingabe und Suchmasken wurde von Vereinsmitgliedern ehrenamtlich erstellt.