Andreas Niepel ist Gartentherapeut, Autor, Gartenplaner und er bezeichnet sich selbst als „Wohlfühlgärtner". Seit über 40 Jahren arbeitet er daran, Garten, Natur und Menschen miteinander zu verbinden. Er begleitet Einrichtungen bei der Konzeption von Therapiegärten oder gartentherapeutischen Konzepten und beschäftigt sich damit, wie Menschen den Garten als ihren persönlichen Wohlfühlraum nutzen können. Er ist außerdem Präsident des Dachverbandes der Gartentherapie, der Internationalen Gesellschaft GartenTherapie (IGGT) e.V.
Was genau ist Gartentherapie?
Niepel: Vorab muss gesagt werden, dass Therapie – und damit auch Gartentherapie – sich an Menschen richtet, die ein Gesundheitsproblem haben. Tatsächlich ist Gartentherapie eine Therapieform, die sich oft mit schwersterkrankten Menschen beschäftigt und dabei nutzen wir den Garten gleichzeitig als Raum und Werkzeug, um an Problemen und Beschwerden zu arbeiten.
Welche Rolle haben Pflanzen in der Gartentherapie?
Niepel: Einen hohen Wert! Nicht alle Gartentherapeutinnen und -therapeuten haben einen Garten zur Verfügung, beispielsweise im Intensiv-Bereich, aber mit lebendigen Pflanzen wird auch dort gearbeitet. Wir nutzen dabei ganz unterschiedliche Eigenschaften von Pflanzen, wie mitunter deren hohe symbolische Bedeutung. Viele, vor allem ältere Menschen haben zudem biographische Erfahrungen mit Pflanzen, an die wir anknüpfen können. Auf die Frage, was sie mit „Natur" verbinden, nennen die Menschen meist als erstes Pflanzen. Diese enge Verbindung bietet wichtige Ansätze für unsere Arbeit. Enorm wertvoll ist aber immer die Tatsache, dass Pflanzen leben, sich also verändern und auf unsere Handlungen reagieren.
Gibt es da Pflanzen, die sich besser eignen als andere?
Niepel: Viele der Patienten, die wir heute in der Gartentherapie behandeln, sind ja mit Nutzgärten groß geworden, deshalb spielen Obst- und Gemüsepflanzen dort oft eine wichtige Rolle. Bedeutsam ist weiter, ob die Pflanzen einen sensorischen Reiz bieten, ob sie beispielsweise blühen oder duften. Wichtig ist natürlich auch, ob es Möglichkeiten gibt, praktisch mit ihnen zu arbeiten, aber auch, ob sie kognitiv wertvoll sind, einen symbolischen Wert haben, wie die Rose, einen individuell biographischen oder übergreifend kulturellen Bezug bieten. So werden je nach Krankheitsfall und Konstitution der betroffenen Person passende Pflanzen ausgewählt. Im Verband IGGT haben wir dazu sogar mit GarThePedia eine eigene Pflanzendatenbank entwickelt.
Eins Ihrer Bücher heißt „Wohlfühlgärtnern". Was verstehen Sie darunter?
Niepel: Zunächst: Sich wohl zu fühlen ist ein elementarer Bestandteil eines umfassenden Gesundheitsverständnisses. Deshalb ist das Wohlbefinden auch in der Therapie wichtig – weit jenseits des tatsächlichen körperlichen oder geistigen Befindens. Somit ist dieses Wohl-Fühlen auch für gesunde Menschen ein bedeutsamer Aspekt von Lebensqualität und wir alle merken: Gartenräume nehmen dabei eine wachsende Rolle ein. Sie sind sichere, angenehme Orte zum Abschalten, zum Genießen oder auch für sinnvolle Beschäftigung an der frischen Luft. Es ist vielfach untersucht, dass Gärten in unserer Zeit den Menschen als Wohlfühlräume dienen und dass sie erstrebenswert sind. Natürlich sind nicht alle Gärten gleich und was dem Einen gefällt, kann der Anderen missfallen. Diese individuelle Haltung und Erwartung an den Garten bzw. an Pflanzen zu erkennen, ist für uns Therapeutinnen und Therapeuten wichtig, aber für Landschaftsgärtner oder -architektinnen ist das doch ganz genau so!
Was sollte ein Garten haben, damit Menschen dort eine Naturerfahrung haben?
Niepel: Darauf gibt es nicht die eine richtige Antwort. Wir alle haben psychische Grundbedürfnisse, zum Beispiel das nach sozialer Integration, nach Selbstwirksamkeit, Naturerfahrung oder allgemein den Wunsch nach positiven Emotionen. Wie stark diese jeweils sind, ist natürlich individuell ausgeprägt. In der Therapie gilt es herauszufinden, wie jemand tickt, natürlich auch, wo die Probleme liegen und dann, welche Gartensituation hier helfen kann. Eine Gartenbesitzerin dagegen kommt ja nicht als Patientin, sondern mit einer anderen Erwartungshaltung: Ein Mensch sucht Ausgleich, Selbstdarstellung, und in den meisten Fällen tatsächlich auch Naturerfahrung. Hier sind Pflanzen die wichtigsten Elemente, sie ermöglichen direkte wie indirekte Naturerfahrung, bieten beispielsweise zusätzlich Lebensräume für Tiere, Vögel, Eichhörnchen, Igel etc. und das sind heute für viele Menschen echte Sensationen! Ich würde sagen, ein Garten sollte Lebensraum sein, der weiteres Leben anlockt und der im Wortsinn erlebt werden kann, nicht zuletzt, weil er vielfältig ist und Abwechslung bietet.
Was können Landschaftsgärtnerinnen und Landschaftsgärtner von Ihren Erfahrungen lernen?
Niepel: Nach meiner Erfahrung ist es wichtig und auch spannend, den Garten stärker vom Menschen aus zu denken. Das Verbindende ist meines Erachtens die Sensorik: Man will sehen, fühlen, riechen, hören, schmecken – der Garten kann ein Genussraum sein, der gut tut. Wobei ich sagen würde, wie beim Wein gilt auch im Garten: Genuss will gelernt sein. Gartenerleben braucht Zeit und Erfahrung … und auch eine gute fachliche Beratung ist hier wichtig. Es gilt herauszufinden, was die Kundinnen und Kunden mitbringen, was sie wünschen oder brauchen. Was kennen sie, natürlich auch, welche Möglichkeiten und Grenzen stecken in der Lage bzw. in der individuellen Gartensituation? Ein gelungener Garten ist sicher der, den seine Besitzer oder Nutzerinnen als für sie richtig erleben. (BGL)