Bunte, nicht zu intensiv genutzte Wiesen sehen nicht nur attraktiv aus, sie bieten auch einen wertvollen Lebensraum für viele Pflanzen und Tiere. Doch vielerorts sind sie selten geworden. Um wieder mehr solcher Gras- und Kräuterwelten zu schaffen, muss man die entsprechenden Pflanzen normalerweise einsäen. Doch mit welchen Samen? Viele Wissenschaftler und Naturschützer plädieren für Saatgut aus der gleichen Region. UFZ-Ökologen haben nun zusammen mit Kollegen der Universitäten Tübingen und Münster sowie der TU München untersucht, wie sinnvoll dieser Ansatz ist. Demnach hat das Regio-Saatgut tatsächlich Vorteile, zeigen zwei Studien in der Fachzeitschrift „Journal of Applied Ecology“.
Wenn Förster irgendwo neue Bäume ansiedeln wollen, nehmen sie dafür schon lange kein x-beliebiges Saatgut mehr. Schließlich hat sich bei ihnen schon lange die Erkenntnis durchgesetzt, dass Rotbuche nicht gleich Rotbuche und Stieleiche nicht gleich Stieleiche ist. Vielmehr gibt es innerhalb jeder Art verschiedene Varianten, die sich an die ganz speziellen Herausforderungen ihres Lebensraums angepasst haben. Manche vertragen vielleicht mehr Trockenheit als ihre Artgenossen, andere sind Spezialisten für harsche Winter oder karge Böden. Daher ist im Forstbereich genau festgelegt, aus welcher Region das für eine bestimmte Pflanzung verwendete Saatgut stammen muss. „Für Wiesenpflanzen gab es solche Regelungen bisher noch nicht“, sagt Biologe Dr. Walter Durka vom UFZ. Wer in seinem Garten eine Blumenwiese anlegen oder im Rahmen eines Naturschutzprojektes einen neuen Grünland-Lebensraum schaffen will, findet im Handel die verschiedensten Saatgutmischungen. Diese stammen zwar durchaus von heimischen Pflanzenarten, können aber theoretisch überall auf der Welt gewonnen worden sein. Allein in den Jahren 2007 und 2008 hat Deutschland 13.000 Tonnen Gras- und 280 Tonnen Kräuter-Samen importiert. „Im Ausland lässt sich dieses Saatgut zwar oft günstiger gewinnen als in Deutschland“, erklärt er, “dafür sind die Pflanzen dann aber vielleicht an die Bedingungen in Neuseeland angepasst und nicht an die in Bayern oder Brandenburg“.
Viele Ökologen plädieren deshalb dafür, dass auch die Samen von Wiesenpflanzen aus der näheren Umgebung stammen sollten. Wissenschaftler der Universität Hannover haben dazu auch schon ein Konzept entwickelt, das anhand verschiedener geografischer Kriterien Deutschland in 22 Herkunftsgebiete einteilt, die zu acht sogenannten Produktionsräumen zusammengefasst sind. Etliche Firmen bieten bereits Saatgut an, bei dem sich genau zurückverfolgen lässt, aus welchem dieser Gebiete es stammt. Die Nachfrage danach dürfte künftig weiter steigen. Denn ab 2020 darf in Deutschland für die Rekultivierung von Wiesen in der freien Landschaft nur noch solches Regio-Saatgut verwendet werden.
Regio-Saatgut-Konzept sinnvoll?
Um diese Frage fundiert beantworten zu können, fehlte es bis vor kurzem schlicht an Daten. Niemand wusste, wie groß die genetischen Unterschiede zwischen Artgenossen aus unterschiedlichen Herkunftsgebieten tatsächlich sind. Geschweige denn, ob solche Abweichungen einen Einfluss auf das Gedeihen der Pflanzen haben. Genau diese Wissenslücke aber wollten die UFZ-Forscher schließen.
Gemeinsam mit Kollegen der TU München sowie der Universitäten in Tübingen und Münster haben sie dazu sieben häufige Wiesenpflanzen untersucht, die aus acht der 22 deutschen Herkunftsgebiete stammten. „Bei allen Arten haben wir genetische Unterschiede zwischen den Regionen gefunden“, resümiert Walter Durka. Wie groß diese sind, hängt allerdings von der Biologie der jeweiligen Pflanze ab. Gräser, die vom Wind bestäubt werden und sich nicht selbst befruchten können, tauschen ihre Erbinformationen zum Beispiel über relativ große Entfernungen aus. Daher haben die Forscher beim weit verbreiteten Glatthafer die geringsten genetischen Unterschiede zwischen den Regionen gefunden. Ein ganz anderes Bild bot sich dagegen bei der Kuckucks-Lichtnelke. Diese Art lässt ihren Pollen von Insekten verteilen – mitunter sogar zwischen Blüten der gleichen Pflanze. Zudem ist sie deutlich seltener als der Glatthafer. „Das alles führt zu einem geringen Genfluss und damit zu großen genetischen Unterschieden zwischen den Populationen“, erklärt Walter Durka. Bei einigen Arten wie etwa dem Weißen Labkraut haben die Forscher zudem einen deutlichen Trend festgestellt: Je größer die Entfernung und je unterschiedlicher das Klima zwischen zwei Herkunftsregionen ist, umso deutlicher fallen auch die genetischen Unterschiede aus. Laut Durka ein deutliches Indiz dafür, dass diese Pflanzen regional angepasst sind. Sie sollten also in der Nähe ihrer ursprünglichen Heimat besser zurechtkommen als in anderen Teilen Deutschlands.
Ob das tatsächlich so ist, hat das Team im Rahmen einer zweiten Studie getestet. Dazu haben die Forscher die sieben Arten aus den acht Regionen in Freising, Tübingen, Halle und Münster ausgesät und beobachtet, wie gut sie jeweils wuchsen und wann sie blühten. „Bei vielen der untersuchten Wiesenarten war es tatsächlich so, dass Pflanzen regionaler Herkunft besser wuchsen“, berichten Dr. Anna Bucharova und Prof. Oliver Bossdorf von der Universität Tübingen. So lieferten die regionalen Gewächse im Schnitt sieben Prozent mehr Biomasse und zehn Prozent mehr Blütenstände als Artgenossen, die aus anderen Gegenden stammten.
Reaktionen bei Wandel des Klimas
Auch die ungewöhnlich warmen Temperaturen im Versuchs-Sommer 2013 änderten daran nichts. Kritiker des Regio-Saatgut-Konzepts argumentieren oft, dass es in Zeiten des Klimawandels nicht zukunftstauglich sei: Angesichts der steigenden Temperaturen könnten sich Pflanzen aus dem Süden womöglich besser behaupten als solche aus der Region, so das Argument. Dafür aber haben die Forscher keine Indizien gefunden: Obwohl die Temperaturen in den Versuchsgärten im Jahr 2013 um 1,5 bis zwei Grad über dem langjährigen Mittel lagen, hatten die Gewächse aus wärmeren Regionen keinen Vorteil. Möglicherweise liegt das daran, dass nicht nur die Temperatur über besseres oder schlechteres Wachstum entscheidet. Auch die Tageslänge oder die Zusammensetzung der Mikroben-Gemeinschaften am jeweiligen Standort können zum Beispiel eine wichtige Rolle spielen. Und wenn die regionalen Gewächse an solche Faktoren besser angepasst sind, können sie ihren Vorteil offenbar auch in warmen Jahren ausspielen.
Doch nicht nur die Pflanze selbst profitiert von ihrer regionalen Anpassung. Die Forscher haben nämlich festgestellt, dass die einzelnen Varianten auch zu unterschiedlichen Zeiten blühen. Bei Wiesen-Flockenblumen verschiedener Herkunft lagen bis zu 17 Tage zwischen den Blühterminen, beim Weißen Labkraut sogar bis zu 23 Tage. „Das ist aus ökologischer Sicht sehr viel“, sagt Anna Bucharova. Schließlich haben sich zahlreiche Tierarten von den Bestäubern über die Bewohner der Blütenköpfe bis zu den Samenfressern auf den regional üblichen Zeitplan eingerichtet. „Es kann durchaus sein, dass diese ganze Lebensgemeinschaft in Schwierigkeiten kommt, wenn gebietsfremde Pflanzen zur falschen Zeit blühen“, befürchtet die Wissenschaftlerin. Noch ein Grund mehr, bei Saatgut auf Regionalität zu setzen. (UFZ)