Die Stadt – ein Albtraum für Bäume

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Viel zu wenig Platz, dafür umso mehr Abgase, Beschädigungen und Trockenstress – Stadtbäume haben es schwer. Wie Kommunen ihr Herz für Bäume zeigen und damit das Leben Aller verbessern können.
Alt wie ein Baum möchte ich werden? Lieber nicht, zumindest nicht, wenn es sich um Stadtbäume handelt. Deren Lebensdauer ist im Vergleich zu freiwachsenden Exemplaren nämlich erbärmlich kurz: Viele der Laubbäume erreichen mit Ach und Krach eine Lebensdauer von 40 Jahre, dann ist ihre Vitalität dahin und sie sterben quasi noch im Jugendalter. Warum das so ist, erklärt Jörg Cremer vom Fachverband geprüfter Baumpfleger.
Dauerstress und Käfighaltung
„Stadtbäume stehen ohnehin unter Dauerstress: Sie leiden unter Bodenverdichtungen, der Belastung mit Abgasen, Feinstaub und Streusalz und unter den zunehmenden Trockenphasen.“ Dennoch wäre Vieles verkraftbar, meint Cremer, solange zumindest in Sachen Boden für gute Standortbedingungen gesorgt ist. „Der heutige Standard in den Städten ist aber eine Art Käfighaltung für Bäume: Die Pflanzgruben sind nicht mal annähernd so groß wie empfohlen wird, das Pflanzsubstrat ist oft minderwertig und weil die Bäume nahe an Gebäuden mit ihren Kanälen und Versorgungsschächten stehen, wird immer wieder im Wurzelraum herumgefuhrwerkt.“
Tatsachen, die Cremer und seinen Kolleginnen und Kollegen theoretisch in die Hände spielen, denn sie bedeuten mehr Aufträge. Baumpflegerinnen und -pfleger haben ihren Beruf aber nicht zufällig ergriffen: Sie sind Baumfans und die schlechte Behandlung ihrer Schützlinge schmerzt sie. „Unsere Arbeit in den Städten besteht genaugenommen darin, die Vielzahl unterschiedlicher Planungs- und Pflanzfehler auszugleichen, damit die komplett überforderten Bäume nicht zu einem Sicherheitsrisiko werden.“ Was die Baumfans viel lieber machen würden: Bäume dahingehend begleiten, dass sie ihren Wohlfahrtscharakter voll entfalten und sich zu eindrucksvollen, jahrzehntelang vitalen Gehölzen entwickeln können. Das jedoch erfordert in vielerlei Hinsicht ein planerisches Umdenken.
Standortqualität ist entscheidend
„Statt wie bisher viel in den Baum und wenig in den Standort zu investieren, muss es umgekehrt sein“, fordert Jörg Cremer. „Große Pflanzgruben und ein gutes Pflanzsubstrat sind ein Muss. Die Baumkrone hingegen kann bei einem jungen Gehölz ruhig wie ein Besen aussehen, denn der Baum wird ja noch aufgeastet: Die Jungbaumkrone wird im Laufe der Jahre komplett weggeschnitten, die eigentliche Krone entsteht mehrere Meter himmelwärts.“
Bäume auf Trennstreifen
Noch besser als größere Pflanzgruben wäre freilich ein komplett anderes Konzept zur Straßenbeplanung: „Zurzeit stehen die Bäume nahe an den Gebäuden im Gehweg- und Parkbereich. Das bringt nur Nachteile: Die Bäume verschatten die Wohnungen, sie haben wenig Platz im Wurzelbereich und die Bäume werden regelmäßig bei Wartungsarbeiten im Bodenbereich oder von parkenden Autos beschädigt.“ Die Alternative: baumlose Gehwege, dafür breite Grünstreifen zwischen den Fahrbahnen. „Das würde den Bäumen extrem helfen, Kosten für Pflege und Rückschnitt sparen, mehr Licht in die Gebäude bringen und obendrein den Straßenverkehr sicherer machen.“
Unterschiedliche Baumarten
Die Zeiten gleichförmiger Straßenzüge aus ein und derselben Baumart sind Cremers Einschätzung nach ein für alle Mal vorbei. „Diese Monokulturen sind nicht mehr zeitgemäß, da viel zu anfällig für Krankheiten und Schädlinge. In abwechslungsreich bepflanzten Straßenzügen hingegen fallen mal ein, zwei Bäume aus, aber der Rest funktioniert immer noch. Eine solche Risikostreuung ist eigentlich schon aus wirtschaftlichen Gründen geboten, aber die Städte tun sich schwer damit.“ Mit ein Grund: Oft gibt es viel Gegenwehr, wenn Altbekanntes durch Neues ersetzt werden soll und beispielsweise die geliebte Lindenallee einer gemischten Bepflanzung weichen muss. Mit entsprechenden Aufklärungskampagnen über die Hintergründe ließen sich die Bürgerinnen und Bürger aber mitnehmen, ist Cremer sicher und verweist auf positive Beispiele wie die beiden Klimabaum-Alleen in Würzburg.
Verschiedene Kronenformen
Eine größere Biodiversität bei den Gehölzen würde das innerstädtische Klima auch noch auf andere Weise verbessern, erklärt Cremer: „Derzeit sind die meisten Straßenzüge einheitlich bepflanzt, die Baumkronen sind daher nahezu gleich aufgebaut und setzen auf der gleichen Höhe an. Dadurch bilden sie eine Art grünen Deckel, unter dem sich der Feinstaub ansammeln kann. Würde man unterschiedliche Kronenformen kombinieren, entstünde automatisch eine bessere Durchlüftung.“ Mehr Platz, bessere Pflanzbedingungen und eine größere Biodiversität ließen somit am Ende alle aufatmen: die Bäume, die Menschen und diejenigen, die man getrost als Baummenschen bezeichnen darf, die Baumpfleger.
Beruf mit Zukunft: Baumpfleger*in
Wer die Natur liebt, gerne draußen ist und obendrein körperlich fit, könnte als Baumpfleger*in glücklich werden. Baumpfleger*innen sorgen durch einen professionellen Schnitt dafür, dass sich Gehölze optimal entwickeln und garantieren die Verkehrssicherheit, indem sie morsche, kranke und beschädigte Äste entfernen. Auch für Fällungen sind sie zuständig. Manche arbeiten auch in einem Sachverständigenbüro oder als Baumkontrolleur*in im Öffentlichen Dienst.
„Je nachdem, welche Eingriffe erforderlich sind, bewegen sie sich per Seilklettertechnik im Baum oder setzen zum Beispiel eine Hebebühne ein. Um sich gegenseitig abzusichern, sind professionelle Baumpfleger dabei immer mindestens zu zweit unterwegs“, erläutert Jörg Cremer vom Fachverband geprüfter Baumpfleger. Zuverlässigkeit und Konzentrationsvermögen, eine schnelle Auffassungsgabe und körperliche Fitness sind die Grundvoraussetzungen, um sich erfolgreich bei einem Baumpflegebetrieb zu bewerben. Als Grundbildung ist eine „grüne Ausbildung“ im Bereich im Bereich Gartenbau, Landwirtschaft oder Forstwirtschaft empfehlenswert.
Wichtig: „Wer professioneller Baumpfleger werden will, sollte sich auch einen professionellen Baumpflegebetrieb suchen“, betont Jörg Cremer. „Ein Anbieter, der die Baumpflege nur nebenbei betreibt, ist vielleicht 100 Stunden im Jahr in den Seilen – unsere Leute absolvieren das im Monat. Das ist ein gewaltiger Unterschied, im Hinblick auf das berufliche Fortkommen, aber auch für die persönliche Sicherheit.“ (GMH/FgB)