In der Schweiz gibt es immer weniger Waldameisen. Das ist ein Problem, da die Ameise ein wichtiges Glied im Ökosystem des Waldes ist.
Es gibt große und kleine, rote oder schwarze – der Volksmund nimmt es mit der Unterscheidung der Ameisen nicht sehr streng. Dabei gibt es in der Schweiz über 140 verschiedene Ameisenarten – rund ein Drittel ist gefährdet. 1966 stellte der Bund deshalb einige von ihnen – als erste Insekten überhaupt – unter Schutz. Sechs davon sind Waldameisenarten.
Schon früher gab es aufmerksame Beobachter, die sich für die hochkomplexen Ameisenstaaten interessierten. Einer von ihnen war der Apotheker und Ameisenspezialist Heinrich Kutter. Während Jahrzehnten untersuchte und zählte er Ameisen – und stellte fest: Innert zwanzig Jahren haben sich die Waldameisenbestände in den Wäldern um Stäfa halbiert. Ein enormer Rückgang, wenn man bedenkt, dass Ameisen schon seit über 130 Mio. Jahren existieren.
Forschung in Kinderschuhen
Seit Kutter hat sich der Forschungsstand nur spärlich verändert – oder anders gesagt: Die Erforschung der Ameisenbestände ist aus den Kinderschuhen noch immer nicht herausgewachsen. Konkrete Zahlen gibt es nicht. Zwar wird ins aktuelle Landesforstinventar LFI 4 erstmals auch das Vorkommen von Waldameisen aufgenommen. Aufgrund der bisher geringen Trefferquote von Ameisenhaufen muss mit der Auswertung der Daten jedoch weiterhin abgewartet werden, sagt Beat Wermelinger von der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL).
Den kläglichen Wissensstand um die Vorkommen der Schweizer Ameisen bedauert auch Biologe und Ameisenexperte Prof. Daniel Cherix von der Universität Lausanne. Vom Rückgang der dank ihrer auffälligen Nester und des großen Körperbaus relativ leicht untersuchbaren Waldameise berichtet er seit über 30 Jahren. Um die Bestände vieler kleiner, meist ungeschützter Ameisenarten jedoch wisse man bis heute kaum Bescheid. So sei es gut möglich, so Cherix, dass man in zehn Jahren merken werde: "Oh, da ist ja eine Art verschwunden!"
Konkurrenz um Lebensraum
Besonders im Schweizer Mittelland, das heißt in Wäldern zwischen 300 und 800 m ü.M., türmen sich immer weniger Waldameisenhaufen. Heute seien es noch halb so viele wie vor zehn Jahren, sagt Cherix. Der Grund dafür sei einfach: "Wir haben die Ameisen seit Jahren gestört." Mit "wir" meint Cherix die Menschen, die durch ihren großen Bedarf an Lebensraum immer weniger für andere Lebewesen lassen. "Die Waldameise ist bloß ein gutes Beispiel für die schwindende Biodiversität", so der Professor. Der Druck auf die Ameisen nimmt seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges stetig zu: Gegenüber der großflächigen Besiedlung, dem dichte Verkehrsnetz und der Intensivierung der Forst- und Landwirtschaft erscheinen natürliche Gefahren der Ameise wie der Grünspecht oder Felsstürze etc. eher nebensächlich.
Selbst das Stochern eines Neugierigen in einem Ameisenhaufen kann zum Aussterben des ganzen Staates führen, da Temperatur und Feuchtigkeit des Nestes mit der kleinsten Veränderung der komplexen Baustruktur variieren, was für die Larven im Innern den Tod bedeutet. Je weniger der Mensch wirkt, desto größer die Chance der Wirbellosen zu überleben. Tatsächlich sei im weniger besiedelten Jura und den Alpen die Lage für Waldameisen deutlich weniger prekär, sagt Cherix.
Eine Kolonie von Umweltpolizisten
Weshalb aber der ganze Trubel um die kleine Ameise, mag man sich fragen. Die Antwort: Weil sie ein bedeutsames Glied im Ökosystem Wald sind. Indem Waldameisen Insekten wie Borkenkäfer und Zecken fressen oder zumindest stören, tragen sie wesentlich zur natürlichen Schädlingsbekämpfung bei. Selber sind sie Nahrung für viele größere waldlebende Tiere und ermöglichen deren Fortbestand. Indem sie Streu und Kadaver abbauen sind die sogenannten "Umweltpolizisten", effiziente Humusproduzenten und verbreiten durch ihr weitläufiges Treiben außerdem die Samen Dutzender Pflanzenarten. Mit ihrem über- und unterirdischen Nest durchlüften sie den Boden und ermöglichen damit ein Leben unter der Bodenoberfläche.
Ameise unter Schutz
Zum Schutz der Waldameisen wurden in den vergangenen Jahren auf verschiedenen Ebenen Maßnahmen eingeleitet. Unter anderem wurde 2012 der Verband Schweizer Waldameisen-Schutz (SWS) gegründet, der Beteiligte aus Forst- und Landwirtschaft, Jagd und Ökologie in Ameisenschutz aufklärt und ausbildet. Ebenfalls bietet das Bildungszentrum Wald (BZW) in Lyss Seminare zum Schutz von Waldameisen an.
Mit wenig viel erreichen
Vielfach reichen schon einfache Hege- und Schutzmaßnahmen aus, um den Lebensraum der Waldameisen zu erhalten. In der Forstwirtschaft etwa kann eine Markierung vor der Holzernte die Zerstörung von Ameisenhaufen verhindern. Das bewusste Liegenlassen von Baumstrünken u.Ä. erleichtert den Ameisen ihren Nestbau. Ist die Erhaltung eines bestehenden Baus nicht möglich, kann dieser mit behördlicher Bewilligung sogar durch eine ausgebildete Fachperson umgesiedelt werden.
"Die Leute sind bereit zur Natur Sorge zu tragen, man muss ihnen nur zeigen wie", sagt Cherix. Einige Gemeinden im Kanton Waadt gehen mit gutem Beispiel voran und veranstalten Kurse zur Erhaltung der Biodiversität. Ein anderes Vorzeigebeispiel auf Behördenebene lieferten die Franzosen. Diese liessen das Gras an Straßenrändern auf 15 cm statt wie gehabt 5-10 cm Länge wachsen. Die minime Veränderung erhöhe die lokale Biodiversität um satte 30%.
Der Beitrag der Landwirtschaft
Ameisenspezialist Cherix unterlässt es nicht zu betonen, dass meist schon kleine Veränderungen ausreichten, auch in der Landwirtschaft. Extensivierung, Reduktion chemischer Pflanzenmittel, Verhindern von Verbuschung sind nur ein paar Faktoren, die Schutz der Ameisen bedeuteten. Die Landwirtschaft kann ebenso neue Lebensräume schaffen. Einige Weinbauern beispielsweise lassen die Grasstreifen zwischen den Rebstöcken inzwischen stehen, wodurch Ameisen und andere Kleintiere neue Lebensräume finden. Veränderungen wie diese gingen in die richtige Richtung, sagt Experte Cherix. "Es wäre toll, wenn sich solche Veränderungen durchsetzen würden".