Europäische Regenwürmer sind dafür verantwortlich, dass die Artenvielfalt in nordamerikanischen Wäldern zurückgeht. Diesen generellen Zusammenhang konnten jetzt erstmals Wissenschaftler vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und der Universität Leipzig nachweisen. Die eingeschleppten Würmer breiten sich invasionsartig in den Wäldern Nordamerikas aus. Mit fatalen Folgen, wie die Forscher in der Fachzeitschrift Global Change Biology berichten, denn die Vegetation am Waldboden verändert sich massiv: Die Artenvielfalt der einheimischen Pflanzen nimmt ab, die Anzahl nicht-einheimischer (exotischer) Pflanzen hingegen zu, außerdem wachsen am Waldboden mehr Gräser.
Wühlende Invasoren erobern nordamerikanische Wälder
Hierzulande gelten Sie als Nützlinge, doch in Nordamerika sind viele Ökosysteme nicht auf die unterirdischen Wühler eingestellt. Denn während der letzten Eiszeit, die vor etwa 12.000 Jahren endete, starben dort fast alle Regenwürmer aus. Als das Eis zurückging, haben sich Ökosysteme entwickelt, die an Böden ohne Regenwürmer angepasst sind. Doch mittlerweile leben wieder mehrere Regenwurm-Arten in Nordamerika. Sie wurden von Europäischen Siedlern eingeschleppt und werden heute von Anglern verbreitet. Nun schiebt sich eine Regenwurm-Invasion wie eine Front mit etwa fünf Metern pro Jahr durch die Wälder und verändert die physikalischen und chemischen Eigenschaften der Böden. Diese werden durchmischt und von Gängen durchzogen. Dadurch wird die Symbiose zwischen Pflanzen und Pilzen (Mykorrhiza) gestört. Die Durchmischung hat auch Auswirkungen auf den pH-Wert: Der in Mitteleuropa am besten bekannte Wurm Lumbricus terrestris zum Beispiel trägt basischen Boden aus tieferen Schichten nach oben. Am Waldboden verschwindet die Laubstreu, da sie von den Würmern gefressen und in Humus umgewandelt wird. Die in den Blättern gespeicherten Nährstoffe stehen den Pflanzen dann ganz plötzlich zur Verfügung. Außerdem trocknen die Böden rascher aus, da Wasser schneller abfließt.
Viele einheimische Pflanzen können unter diesen ungewohnten Bedingungen schlechter wachsen, daher nimmt die Artenvielfalt der Bodenvegetation ab. Der Koboldfarn (Botrychium mormo) etwa wächst kaum noch in Wäldern, die von Würmern heimgesucht werden. Auch andere Pflanzen sind bedroht, wie die große Trauerglocke (Uvularia grandiflora), der Teufelskrückstock (Aralia elata), die Waldlilie (Genus Trillium), die Weißwurz (Genus Polygonatum) oder die Blutwurz (Potentilla erecta). Umgekehrt bereiten die Würmer wortwörtlich den Boden für nicht-einheimische (exotische) Pflanzen, die an das Leben mit Regenwürmern angepasst sind. Auch Gräser wachsen sehr gut in Wäldern mit Regenwürmern. Einerseits können ihre feinen Wurzeln Bodennährstoffe, besonders Stickstoff, rasch aufnehmen, andererseits sind Gräser tolerant gegenüber Trockenheit im Sommer. Die Regenwürmer fressen aber auch kleine Samen bestimmter Pflanzenarten und nehmen so direkten Einfluss auf die Zusammensetzung der Bodenvegetation. Je mehr Arten von Regenwürmern gemeinsam an einem Standort vorkommen, umso mehr Pflanzen verschwinden, da verschiedene Regenwürmer in unterschiedlichen Bodenschichten leben und sich ihre Effekte somit addieren.
Die Forscher hatten Daten aus 14 Studien zusammengeführt und ausgewertet. Ihre Ergebnisse weisen erstmalig einen generellen Zusammenhang zwischen dem Rückgang der Artenvielfalt in nordamerikanischen Wäldern und der Ausbreitung europäischer Regenwürmer nach. „Die Regenwurm-Invasion verändert die Biodiversität und möglicherweise das Funktionieren der Wald-Ökosysteme, denn sie wirkt in das gesamte Nahrungsnetz hinein und beeinflusst Wasser- und Nährstoffkreisläufe“, so Dylan Craven, Erstautor der Studie. „Die langfristigen Folgen könnten massiv sein und durch den Klimawandel weiter verstärkt werden“, ergänzt Studienleiter Prof. Nico Eisenhauer. Beide sind Wissenschaftler am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und an der Universität Leipzig und hatten die Studie gemeinsam mit Kollegen aus den USA und Kanada durchgeführt. Eisenhauer hatte jüngst 1,5 Mio. Euro EU-Gelder eingeworben um die Konsequenzen der Regenwurm-Invasion zu untersuchen.