Forschung: Wie Pflanzen ihre Nachkommen vor künftigen Gefahren schützen

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Tübinger Biologen weisen den „parentalen Umwelteffekt“ in der Praxis nach – und wie dieser evolutionär entsteht
Pflanzen können nicht nur Genvarianten an ihre Nachkommen weitergeben, sondern auch Informationen über Umwelterfahrungen, die sie selber gemacht haben. Dieses Phänomen wird als „parentaler Umwelteffekt“ bezeichnet, er wird sowohl von Klimabedingungen als auch von der Pflanzendichte beeinflusst, also dem Maß, in dem Pflanzen um Ressourcen konkurrieren. In einer neuen Studie bestätigen Vegetationsökologen der Universität Tübingen nun, dass diese Fähigkeit zur Anpassung von Arten an ihre Umwelt beiträgt. In Gewächshaus- und Feldstudien zeigten sie dabei erstmals, wie sich der parentale Umwelteffekt selbst verändern kann, also evolutionär durch natürliche Selektion entsteht. Die Studie zeigte zudem, dass die Fähigkeit, Nachkommen auf eventuelle Umweltbedingungen „vorzubereiten“, sogar zwischen Populationen innerhalb einer Art variieren kann.

Die Studie erschien kürzlich in der Zeitschrift New Phytologist:http://onlinelibrary.wiley.com/wol1/doi/10.1111/nph.14436/abstract 

Parentale Umwelteffekte setzen voraus, dass die Eltern die Umweltbedingungen ihrer Nachkommen „vorhersagen“ und sie entsprechend ausrüsten können. Dies ist vor allem in einer variablen Umwelt von Vorteil, beispielsweise in Wüstenregionen mit stark schwankenden Regenmengen. Das Forscherteam aus Tübingen und Hohenheim hatte sich deshalb die Frage gestellt, wie sehr schon die Vorhersagbarkeit künftiger Umweltbedingungen selbst die Evolution des parentalen Effekts beeinflusst.

Untersucht wurde dies an einjährigen Pflanzen trockener Ökosysteme: Hier können viele Arten nur überleben, wenn sie eine Samenreserve im Boden anlegen. „Ein Teil der Samen ruht ‚schlafend‘ im Boden“, sagt Dr. Christian Lampei, Erstautor der Studie. „Wenn bereits in der Elterngeneration festgelegt werden kann, wann ein günstiger Zeitpunkt für die Keimung ist, kann dies Verluste durch Auskeimen in einem schlechten Jahr minimieren.“ In einer früheren Studie hatte die Arbeitsgruppe der Tübinger Vegetationsökologin Katja Tielbörger bereits festgestellt, dass der parentale Umwelteffekt bewirkt, dass nach trockenen Jahren viele Samen auskeimen und nur wenige Samen als Reserve im Boden bleiben. Nach regenreichen Jahren hingegen keimen weniger Samen aus, es bleiben mehr Reserven im Boden. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hatten geschlussfolgert, dass der Grund hierfür die zu erwartende Konkurrenz war: Nach einem regenreichen, produktiven Jahr ist eine höhere Pflanzendichte zu erwarten, also stärkere Konkurrenz um Ressourcen. Durch die verstärkte Anlage von Reserven (mehr Samen, die nicht keimen) können Pflanzen dies umgehen und ihren Nachkommen durch späteres Auskeimen günstigere Bedingungen verschaffen.

Dieses theoretische Modell zum parentalen Umwelteffekt konnten die Wissenschaftler nun in der aktuellen Studie praktisch nachweisen: Die Autoren untersuchten zwei einjährige Pflanzen, einen Kreuzblütler (Biscutella didyma) und ein Gras (Bromus fasciculatus), und verglichen, wie stark der parentale Umwelteffekt in vier Populationen von Nord- bis Südisrael ausgeprägt war, die unterschiedlichen Klimabedingungen ausgesetzt sind. Zu diesem Zweck zogen sie Pflanzen unter kontrollierten Bedingungen und mit unterschiedlicher Bewässerungsintensität groß, um dann die Keimung der produzierten Samen zu vergleichen. Zusätzlich verwendeten sie Langzeit-Regendaten, Daten zu Pflanzendichten und zur durchschnittlichen Samenproduktion: Mit diesen berechneten sie, wie gut sich anhand der Regenmenge eines Jahres die Anzahl konkurrierender Pflanzen im Jahr danach vorhersagen ließ, und welche Auswirkungen die zu erwartende Konkurrenz auf die Samenproduktion hatte.

Mit den Ergebnissen konnten sie für eine der Pflanzen, Biscutella didyma bzw. das Brillenschötchen, den parentalen Umwelteffekt nachweisen. Dieser wurde von der regenreichsten bis zur trockensten Population stetig stärker – je trockener die Umgebung, desto mehr bildeten die Pflanze ihre „Vorsorge“ für den Nachwuchs aus. Parallel dazu wuchs der Zusammenhang zwischen der Regenmenge des Vorjahres und der Pflanzendichte: Je besser sich die Konkurrenzsituation im kommenden Jahr vorhersagen ließ, desto stärker war der parentale Umwelteffekt ausgeprägt. In den Jahren mit hoher Pflanzendichte produzierten Pflanzen im Schnitt weniger Samen ‒ dies bestätigt die Vermutung, dass es einen Vorteil bringt, in solchen Jahren die Auskeimung durch viele Reserven zu verzögern.

Sehr zum Erstaunen der Autoren zeigte das Gras nicht den erwarteten parentalen Umwelteffekt. Dies bestätigt wiederum die Beobachtung früherer Studien, dass einjährige Pflanzen noch weitere Strategien nutzen können, um in variablen Ökosystemen zu überleben. „Tatsächlich zeigt Bromus fasciculatus eine hohe Trockenresistenz. Das könnte eine Samenreserve überflüssig machen", vermutet Lampei.

Während frühere Studien zeigten, dass parentale Umwelteffekte bei bestimmten Arten zu beobachten sind, zeigt die vorliegende Studie, wie der parentale Umwelteffekte auch innerhalb von Arten zwischen Populationen variiert ‒ und, dass diese Unterschiede nicht zufällig entstanden sind, sondern sehr wahrscheinlich durch natürliche Selektion. (Eberhard Karls Universität Tübingen)