Insektenvielfalt in Naturschutzgebieten bedroht

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Warum nimmt die Insektenvielfalt hierzulande ab und was kann dagegen unternommen werden? Dieser Frage sind acht wissenschaftliche Institutionen unter Leitung des NABU im Forschungsprojekt DINA (Diversität von Insekten in Naturschutz-Arealen) vier Jahre lang nachgegangen. Zum heutigen Projektabschluss stellen die Projektpartner zentrale Ergebnisse und Empfehlungen vor. 
„Die Betroffenheit war groß, als vor sechs Jahren das Ausmaß des dramatischen Rückgangs der Insektenvielfalt öffentlich wurde. Doch es fehlte an Daten, um den Verlust der biologischen Vielfalt aufzuhalten und in einen positiven Trend umzukehren. DINA hat hierbei die bislang umfangreichste Datenbasis zur Anzahl und Vielfalt fliegender Insektenarten in den ausgewählten Schutzgebieten in Deutschland geschaffen. Wesentliche Treiber des Biodiversitätsverlustes wurden untersucht – etwa negative Umwelteinflüsse durch den Pestizideinsatz oder die Zerstörung von Lebensräumen. Das Forschungsprojekt leistet damit einen wichtigen Beitrag bei der Ausgestaltung politischer Rahmenbedingungen und ist richtungsweisend für die künftige Erforschung der Pflanzen- und Insektenwelt.“ (Prof. Dr. Gerlind Lehmann, DINA-Projektleiterin beim NABU) 

“Die Ergebnisse des Forschungsprojektes zeichnen ein alarmierendes Gesamtbild: Selbst in Naturschutzgebieten schreitet der Verlust von Artenvielfalt und Lebensräumen ungebremst voran. Mitverantwortlich dafür sind Pestizide und eine nicht-naturverträgliche Landnutzung. Damit die Trendumkehr beim Insektensterben gelingen kann, muss die Belastung durch Pestizide in der gesamten Landschaft halbiert werden. In den besonders sensiblen Schutzgebieten gehört ihr Einsatz untersagt. Zudem müssen wir Safe-Spaces für Fluginsekten schaffen – etwa durch Pufferstreifen und zusammenhängende Biotop-Netze.” (Jörg-Andreas Krüger, NABU-Präsident) 

„Obwohl die Ergebnisse von DINA zeigen, dass Insekten in den Gebieten generell gefährdet sind, geben die Daten auf lokaler Ebene nur bedingt Anlass zum Handeln für die Akteurinnen und Akteure. Dialogformate bieten hier die Gelegenheit zum Abgleich von Wissen, gegenseitigem Verständnis für Hindernisse und Interessenlagen und eröffnen Wege für Lösungen, die praxistauglich und konsensfähig sind.“ (Dr. Florian Schneider, ISOE) 

„Sowohl in Naturschutzgebieten als auch in deren unmittelbarer Nachbarschaft befindet sich eine Vielzahl von konventionell bewirtschafteten Ackerflächen. Auf einer Länge von mehr als 11.000 km grenzen Naturschutzgebiete direkt an Ackerflächen an. Bei den EU-rechtlich geschützten „Fauna-Flora-Habitat (FFH)“-Gebieten sind es sogar 21.100 km – eine Strecke länger als die Luftlinie zwischen Nord- und Südpol.“ (Lisa Eichler, IÖR)

„Auch in Naturschutzgebieten werden Insekten mit Pestizidmischungen belastet. Kontaminiert werden sie vor allem außerhalb der Schutzgebietsflächen aufgrund ihres Aktivitätsradius. So haben Ackerflächen, die an Schutzgebiete angrenzen, einen Einfluss auf die zu schützenden Insektenbestände und die Pflanzenwelt. Dabei steigt die Anzahl der nachgewiesenen Pestizide in intensiv landwirtschaftlich genutzten Gebieten an. Belastungen mit Pestizidmischungen wer den bisher in der Zulassung weder untersucht noch berücksichtigt.“ (Dr. Carsten Brühl, Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern Landau). 

„Erstmalig konnte gezeigt werden, dass mit pflanzlichem DNA-Metabarcoding seltene, gefährdete und gebietsfremde Arten sowie das Gesamtartenspektrum detektiert werden können, sodass sich diese Methode besonders für standardisiertes, automatisiertes Routinemonitoring eignet.“ (Prof. Dr. Birgit Gemeinholzer, Universität Kassel).

„Ausgehend von den 2017 vom Entomologischen Verein Krefeld veröffentlichten Insektenbiomassen ist aktuell keine Erholung der Biomassen für die Jahre 2020 und 2021 feststellbar und der Trend zu einem niedrigen Stand kann deutschlandweit bestätigt werden. Angrenzende konventionell bewirtschaftete Acke rflächen wirken sich zudem nachteilig auf das Vorkommen gefährdeter Pflanzenarten in benachbarten, geschützten Lebensräumen aus.“ (Thomas Hörren, EVK) 

“Das Projekt konnte mittels genetischer Artbestimmung eine bisher so nie gesehene Fülle an Insektenarten in Naturschutzgebieten Deutschlands aufzeigen. Wir müssen es schaffen, diesen wertvollen Schatz durch naturverträgliche Landnutzung für künftige Generationen zu erhalten.” (Prof. Dr. Christoph Scherber, LIB)  

“Die Notwendigkeit des Insektenschutzes ist allgemein akzeptiert und bedingt interdisziplinäre Lösungsansätze, die ökologische, ökonomische und soziale Aspekte miteinander verknüpfen. Die Rahmenbedingungen sind entscheidend. Landwirte als Hauptbeteiligte drängen auf mehr Wertschätzung und Planungssicherheit sowie eine höhere finanzielle Unterstützung und Flexibilität zur Umsetzung biodiversitäts fördernder Maßnahmen. Eine Zusammenarbeit aller Beteiligten ist unerlässlich.” (Prof. Dr. Wiltrud Terlau, IZNE-HBRS) 

Abgeleitet aus den Erkenntnissen des DINA-Projekts empfiehlt das Forschungskonsortium drei zentrale Handlungspunkte zum wirksamen Schutz der Insektenvielfalt: 

  1. Biodiversität in Zielsetzung und Planung für Schutzgebiete priorisieren: Damit die biologische Vielfalt in den ausgewiesenen Gebieten auch wirklich geschützt wird, muss die umliegende landwirtschaftliche Nutzfläche einbezogen werden – etwa, wenn Strategien entwickelt und Maßnahmen geplant werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Randeffekte und Umgebungseinflüsse in einem Radius von bis zu zwei Kilometern auf die Schutzgebiete wirken.
  2. Bundesweites Monitoring und ortsbezogene Risikoanalysen ermöglichen: Forschungsgrundlagen müssen durch Monitoring und Pestizidanalysen geschaffen werden, um die Risiken der Insektenbestände besser abschätzen zu können. In der Umsetzung müssen besonders schützenswerte Gebiete priorisiert werden.
  3. Mitwirkung aller relevanten Akteur*innen fördern: Damit Schutzmaßnahmen auf der lokalen Ebene wirksam umgesetzt werden, müssen alle Beteiligten aus Landschaftspflege, Landwirtschaft, Naturschutz, Politik und Zivilgesellschaft einbezogen werden. Zudem muss Biodiversität als wichtiger Bestandteil der Bildung für nachhaltige Entwicklung etabliert werden.

Hintergrund
Das Projekt DINA (Diversity of Insects in Nature protected Areas) wurde von Mai 2019 bis April 2023 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit einer Gesamtsumme von 4,6 Millionen Euro gefördert. An bundesweit 21 repräsentativ ausgewählten Standorten wurde die Insektenvielfalt und deren Belastung aus den umliegenden landwirtschaftlich genutzten Flächen erfasst. Begleitend wurden Befragungen und Fokusgruppendiskussionen mit Landwirt*innen durchgeführt, um die Rahmenbedingungen für die Akzeptanz von Maßnahmen für den Insektenschutz zu untersuchen. An drei DINA-Standorten fanden vertiefende Dialogworkshops mit Akteur*innen aus Naturschutz und Landwirtschaft statt. Der kontinuierliche Austausch dient sowohl der Vernetzung zwischen den Akteur*innen als auch der Konsensfindung für Ziele und Maßnahmen für einen integrierten Naturschutz. (NABU)