Jena Experiment: Artenverlust zerstört Ökosysteme

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Wie schwer wiegt der globale Artenverlust? Sind Stoffkreisläufe in einem Ökosystem mit wenig Arten verändert? Um dies zu klären, wurde 2002 das „Jena Experiment“ etabliert, eines der größten Biodiversitätsexperimente weltweit. Professor Wolfgang Weisser von der Technischen Universität München (TUM) nennt zwei unerwartete Ergebnisse der Langzeitstudie: Biodiversität beeinflusse knapp die Hälfte der Prozesse im Ökosystem und intensive Grünlandbewirtschaftung erziele keinen höheren Ertrag als eine hohe Biodiversität.

Ein Ökosystem stellt für den Menschen Naturleistungen bereit wie zum Beispiel die Fruchtbarkeit des Bodens, die Grundwasserqualität, die Produktion von Nahrungsmitteln oder auch das Bestäuben durch Insekten, was essentiell für viele Früchte ist. Deshalb sind intakte Ökosysteme fürs Überleben aller Lebewesen wichtig. Welche funktionelle Bedeutung hat somit das Sterben der Arten? Kann der weltweite Artenverlust dazu führen, dass Ökosysteme am Ende schlechter „funktionieren“?

Die Ergebnisse des Langzeitprojektes „Jena Experiment“, das von der Friedrich-Schiller-Universität Jena koordiniert wird, hat Professor Weisser vom Lehrstuhl für Terrestrische Ökologie an der TUM seit seinen Anfängen in einem 70-seitigen Artikel in der Zeitschrift „Basic and Applied Ecology“ zusammengefasst. Er war bis ins Jahr 2015 Sprecher des interdisziplinären Forschungskonsortiums.

„Eine Besonderheit am Jena Experiment ist die Tatsache, dass wir über 15 Jahre unsere Untersuchungen und Analysen durchgeführt haben“, erklärt Prof. Weisser. „Da der Einfluss der Biodiversität verzögert sichtbar wird, konnten wir manche Effekte erst ab dem Jahr 2006 oder 2007 beobachten – also vier oder fünf Jahre nach Beginn des Projektes.“ Werde ein Lebensraum durch menschliches Eingreifen zerstört, sterbe eine Art meist nicht sofort aus, sondern einige Zeit später. Und dieses Aussterben hat nach dieser Erkenntnis dann einen zeitverzögerten Effekt auf die Stoffkreisläufe.

Die Effekte der Biodiversität wurden im Jena Experiment entsprechend über die Zeit stärker: In artenreichen Gemeinschaften wurden die positiven Effekte wie etwa die Kohlenstoffspeicherung im Boden, die mikrobielle Atmung oder die Entwicklung der Bodenfauna erst mit der Zeit stärker. Andererseits wurden genauso die negativen Effekte von Monokulturen später sichtbar. „Dies bedeutet, dass die negativen Effekte des derzeitigen Artenverlustes erst in einigen Jahren vollständig augenscheinlich werden“, warnt Weisser.

Der Landwirt ist nicht erfolgreicher als die Natur
80.000 Messungen wurden von interdisziplinär aufgestellten Arbeitsgruppen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden durchgeführt. Auf mehr als 500 Versuchsparzellen hatten sie unterschiedlich viele Pflanzenarten angesät, von Monokulturen bis zu Mischungen von 60 Arten. Neben Pflanzen wurden auch alle weiteren im Ökosystem vorkommenden Organismen untersucht – im und oberhalb des Bodens. Daneben sind von Bodenkundlern die Stoffkreisläufe von Kohlenstoff, Stickstoff und Nitrat und auch der Wasserkreislauf über den gesamten Zeitraum von 15 Jahren untersucht worden.

So konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler belegen, wie sich die Artenvielfalt auswirkt auf die Kapazität des Bodens, Wasser aufzunehmen, zu speichern oder abzugeben. „Kein anderes Experiment hat bisher die Nährstoffkreisläufe mit solcher Genauigkeit untersucht“, sagt Prof. Wolfgang W. Wilcke vom Lehrstuhl für Geoökologie am KIT in Karlsruhe. Wie sehr etwa der Stickstoffkreislauf eines Bodens von vielen Faktoren wie etwa der Artenvielfalt, von mikrobiologischen Organismen, dem Wasserkreislauf und der Pflanzeninteraktion abhängt, wurde im Jena Experiment erstmals deutlich.

Die Ergebnisse führten unter anderem zu folgenden Schlussfolgerungen:
Artenreichere Wiesen hatten über die gesamte Zeit des „Jena Experiments“ eine höhere Produktivität als artenarme Wiesen. Eine gesteigerte Bewirtschaftungsintensität durch zusätzliche Düngung und eine häufigere Mahd erreichte denselben Effekt: Wenn ein Landwirt bestimmte Arten fördert und düngt, ist er im Durschnitt betrachtet folglich nicht erfolgreicher als die Natur. Die Energie der Biomasse (Bioenergiegehalt) von artenreichen Wiesen war deutlich höher als der von artenarmen Wiesen, zugleich aber ähnlich hoch wie viele der heute stark subventionierten Arten wie etwa von Chinaschilf.

Bessere Ökosystemdienstleistungen durch Biodiversität
Artenreiche Flächen hatten eine bessere Kohlenstoffspeicherung. Die Anzahl von Insekten und anderen Arten war deutlich höher. Wechselwirkungen zwischen Arten wie etwa Bestäubungen fanden häufiger statt. Artenreichere Wiesen transportierten Oberflächenwasser besser in den Boden. Artenreiche Ökosysteme waren stabiler gegenüber Störungen wie Dürren oder Überschwemmungen als artenarme Ökosysteme.

Das Jena Experiment beweist aufgrund seiner Breite erstmals, dass ein Verlust der Artenvielfalt negative Konsequenzen für viele einzelne Komponenten und Prozesse in Ökosystemen hat. Das weltweite Artensterben bedeutet also nicht nur, dass ein Teil des evolutionären Erbes der Erde unwiederbringlich verloren geht und der Mensch seiner Fürsorgepflicht gegenüber anderen Geschöpfen nicht gerecht wird, sondern es hat direkte unangenehme Folgen für den Menschen. Das Artensterben wirkt sich unter anderem auch auf die Stoffkreisläufe aus – und diese nehmen direkten Einfluss auf den Wasserhaushalt, der Quell allen Lebens.

Neuer Sprecher des Jena Experimentes ist Professor Nico Eisenhauer vom deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig. Der Experte von der Universität Leipzig wird das Experiment fortführen, um die Mechanismen, die den Biodiversitätseffekten zugrunde liegen, noch genauer aufzuklären. Zu den Gründungsmitgliedern des Jena Experimentes zählten die Friedrich-Schiller-Universität Jena, wo auch die wissenschaftliche Koordination angesiedelt ist, und das Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena. Maßgeblich finanziell unterstützt wurde es von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). (Technische Universität München)