Warum leben in manchen Ökosystemen auffallend viele, in anderen Ökosystemen nur wenige Pflanzenarten? Wie kommt es, dass einige Arten jeweils nur in einer bestimmten, klar abgrenzbaren Region der Erde zuhause sind? Mit diesen Fragen hat sich Dr. Manuel Steinbauer in einer Reihe wissenschaftlicher Studien an der Universität Bayreuth befasst. Für seine Forschungsarbeiten wird der Bayreuther Ökologe, der zurzeit als Postdoc an der dänischen Universität Aarhus forscht, mit dem diesjährigen Wilhelm Pfeffer-Preis der Deutschen Botanischen Gesellschaft (DBG) ausgezeichnet. Der Preis ist mit 2.500 Euro dotiert.
Wenn es darum geht, den Gründen für die Verbreitung pflanzlicher Arten auf die Spur zu kommen und theoretische Erklärungsansätze zu überprüfen, sind Vegetationsstudien auf Meeresinseln besonders aufschlussreich. Vor allem bei großen Entfernungen vom Festland ist es sehr unwahrscheinlich, dass heimische Arten abwandern oder sich neue Arten auf den Inseln ansiedeln. Umso mehr ist die Zusammensetzung der insularen Pflanzenwelt von speziellen landschaftlichen Gegebenheiten bestimmt. Gerade auf bergigen Inseln spiegelt die Vegetation die vielfältigen Landschaftsstrukturen auf kleinstem Raum wider. Meeresinseln ermöglichen daher der Forschung einzigartige Einblicke in Prozesse, die an der Entstehung und Veränderung pflanzlicher Arten beteiligt sind.
Bergregionen auf den Kanarischen Inseln: Gebiete mit einer einzigartigen Pflanzenwelt
Im Rahmen seiner Bayreuther Dissertation befasste sich Dr. Manuel Steinbauer insbesondere mit der Pflanzenwelt auf den Kanarischen Inseln. Hier stellte er fest, dass Ökosysteme in Hochlagen viel größere Anteile seltener Arten haben als tiefer gelegene Ökosysteme. „In einer Höhe ab etwa 2.000 m, oberhalb von Lorbeer- und Kiefernwäldern, sind die landschaftlichen und klimatischen Verhältnisse auf den Kanaren fast einmalig. Vergleichbar kalte Temperaturen findet man erst wieder in Gebirgen auf dem Festland wie dem Hohen Atlas in Marokko. Um unter diesen Bedingungen leben und überleben zu können, müssen Pflanzen sehr spezielle Anpassungen entwickeln“, erklärt der Bayreuther Forscher. „Deshalb ist in den höher gelegenen Bergregionen der Anteil endemischer Pflanzen – also von Pflanzen, die weltweit an keinen anderen Standorten vorkommen – auffallend groß, deutlich größer als im Tiefland.“ Für diesen Unterschied nennt er noch eine weitere Erklärung: Bergregionen auf den Inseln und Hochlagen auf dem Festland, wo Pflanzen zumindest ähnliche Umweltbedingungen vorfinden, sind viel weiter voneinander entfernt als tiefer gelegene Insel- und Festlandsregionen. Umso unwahrscheinlicher ist es, dass Pflanzen aus vergleichbaren Vegetationszonen auf dem Festland den ‚Sprung‘ zu hochgelegenen insularen Ökosystemen schaffen und sich dort etablieren. Die einzelnen Arten sind daher auf den insularen Hochlagen sehr isoliert, was die Bildung neuer Arten fördert.
Ein Beispiel für Hochlagen, in denen besonders viele endemische Arten gedeihen, sind die vulkanischen Berge auf La Palma. In der Gipfelregion wechseln die Wetterverhältnisse zwischen Frost, heftigem Eisregen, intensiver Höhenstrahlung und extremer Trockenheit. Hier wachsen einzigartige Pflanzen, wie ein spezieller Schöterich (Erysimum scoparium) und der Klebrige Drüsenginster (Adenocarpus viscosus). Diese Arten kommen nur in Höhenlagen der Kanarischen Inseln vor.
Steinbauer gelang es während mehrwöchiger Feldforschungen auf den Kanarischen Inseln, die Anteile endemischer Arten im Tiefland und in Höhenlagen zu quantifizieren: Während weltweit einmalige Arten im Tiefland rund 25% der Vegetation ausmachen, sind es am 2.400 m hohen Roque de los Muchachos mehr als 50%. Ähnlich der Befund auf Teneriffa: Im Flachland sind rund 30 Prozent der Pflanzenarten endemisch, auf 3.000 m am Teide – dem zentralen Gipfel der Insel – steigt dieser Anteil auf bis zu 65%.
Weitere Forschungsergebnisse zu Höhenlagen auf Meeresinseln: Von Hawaii bis nach Franken
In weiteren Vegetationsstudien stellte sich heraus, dass die auf den Kanaren gewonnenen Erkenntnisse auf andere Inseln übertragbar sind. Dr. Manuel Steinbauer und andere Wissenschaftler, sei es an der Universität Bayreuth oder kooperierenden Forschungseinrichtungen, haben mittlerweile Vegetationsmuster auf den weltweit bedeutendsten hohen Inseln untersucht – beispielsweise auch auf Hawaii, La Reunion, Sokotra, Taiwan und Jamaica. „Die Ergebnisse unterstützen eindeutig die Hypothese, dass die Höhenlagen von Meeresinseln Diversitätszentren weltweit einmaliger Pflanzen sind“, resümiert Steinbauer. So gedeihen auf der griechischen Insel Kreta oberhalb von 2.000 m zwar weniger als 100 Arten, doch mehr als die Hälfte von ihnen existieren nirgendwo sonst auf der Erde. Im Tiefland ist die Zahl der Arten mehr als zehnmal so hoch, doch sinkt der Anteil endemischer Arten hier auf 5%.
Wie der Bayreuther Ökologe festgestellt hat, gibt es auch auf dem europäischen Festland besondere, von der Umgebung abgegrenzte Standorte, in denen sich seltene Arten konzentrieren. So finden sich an fränkischen Burgen mehr seltene Weichtiere (Mollusken) als in der Vegetation der Umgebung. Auch die Techniken zur Restauration alter Gebäude wirken sich hier entscheidend auf die Artenzusammensetzung aus.
Doppelt ausgezeichnete Forschungsarbeiten mit hoher Relevanz für Umwelt- und Naturschutz
Für seine 2013 veröffentlichte Dissertation, die insbesondere von Prof. Dr. Carl Beierkuhnlein am Lehrstuhl für Biogeografie betreut wurde, ist Dr. Manuel Steinbauer im September 2014 mit dem Preis der Gesellschaft für Ökologie in Deutschland, Österreich und der Schweiz (GfÖ) ausgezeichnet worden. „Es freut mich sehr, dass seine Forschungen so große Resonanz in der wissenschaftlichen Fachwelt hervorgerufen haben“, erklärt Prof. Beierkuhnlein und fügt hinzu: „In den letzten Jahren ist immer deutlicher geworden, dass die pflanzliche Artenvielfalt eine zentrale Bedeutung für überlebenswichtige Serviceleistungen hat, die wir Menschen ganz selbstverständlich von Ökosystemen erwarten. Je besser wir über die geografischen Voraussetzungen für das Leben und Überleben seltener Arten Bescheid wissen, desto besser wird es uns in Zukunft gelingen, erfolgreiche Konzepte für den Erhalt der Artenvielfalt zu entwickeln.“
In Dänemark, an der Universität Aarhus, setzt der doppelt ausgezeichnete Bayreuther Nachwuchsforscher derzeit seine Forschungsarbeiten als Postdoktorand fort: „Dynamische Prozesse auf verschiedenen Zeitskalen und grundsätzliche ökologische Fragestellungen interessieren mich besonders. Die aktuellen Herausforderungen des Klimawandels und im Naturschutz macht meine Forschungsarbeit umso spannender.“
"Präsident der Wilhelm Pfeffer-Stiftung, der Leipziger Pflanzenphysiologe Prof. Dr. Christian Wilhelm, wird Dr. Manuel Steinbauer den Preis heute, am 31. August 2015, im Rahmen der Botanikertagung 2015 in Freising bei München überreichen. Hier wird der 32jährige Preisträger Ergebnisse seiner Forschungsarbeiten präsentieren. Die internationale Konferenz wird von der Deutschen Botanischen Gesellschaft organisiert, mit der die Wilhelm Pfeffer-Stiftung assoziiert ist.