Miller: Ergebnisse verdeutlichen einmal mehr den akuten Handlungsbedarf im Naturschutz.
Heute hat die Naturschutzorganisation BirdLife International, der Dachverband des NABU, die aktuelle Europäische Rote Liste der Vögel veröffentlicht. Demnach weisen 161 der 544 ausgewerteten Vogelarten (30 Prozent) einen negativen Bestandstrend auf. 2015 waren es noch 27,6 Prozent. Obwohl viele Arten mehrheitlich in niedrigere Gefährdungsklasse herabgestuft werden, steigt die Gesamtzahl bedrohter Vogelarten insgesamt an: Mit 110 Arten hat sich ihre Zahl auf über 20 Prozent erhöht. Am meisten Rückgänge sind bei weit verbreiteten Singvögeln wie Lerchen-, Würger- und Ammerarten zu beobachten. Sie verlieren ihre offenen Lebensräume, da immer mehr kleinteilige Landschaften verschwinden. Hinzu kommt der verstärkte Einsatz von Agrarchemikalien.
NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller: „Die Rote Liste macht deutlich: Noch immer ist die Vielfalt der europäischen Vogelwelt bedroht durch intensivierte Landwirtschaft, zunehmende Flächenversiegelung, Übernutzung der Meere, nicht nachhaltige Praktiken in der Forstwirtschaft, Umweltverschmutzung, Raubbau und das illegale Töten bestimmter Arten. Zwar bieten internationale Konventionen und die EU-Naturschutzrichtlinien eine starke Gesetzgebung. Häufig fehlen jedoch notwendige Naturschutzmaßnahmen oder sie erfolgen nicht im erforderlichen Maßstab, um die wichtigsten Bedrohungen für Vogelarten zu bekämpfen. Bei allen aktuellen Problemen erweist sich der Klimawandel jedoch als eine der Hauptbedrohungen für die Zukunft unserer Vogelwelt: Der Bericht zur Roten Liste legt nahe, dass der Klimawandel das Verbreitungsgebiet für bestimmte Arten bereits maßgeblich verlagert oder verlagern wird. Für manche Arten könnte die Klimakrise auch das Aussterberisiko erheblich erhöhen. Dieser besorgniserregenden Entwicklung müssen wir sowohl auf nationaler als auch auf europäischer und globaler Ebene entschieden entgegenwirken.“
Von den gut 300 Arten, die in Deutschland leben, haben die Feuchtwiesenvögel Bekassine und Rotschenkel die Vorwarnliste übersprungen und gelten nun europaweit als gefährdet. Auch Saatkrähe, Mauersegler und Wachtel ziehen erstmalig auf europäischer Ebene in die Rote Liste. Weitere Sorgengruppen sind Wasser- und Watvögeln (40 Prozent der Arten gefährdet), Langstreckenzieher (33 Prozent) und Seevögel (30 Prozent). In der Meeresumwelt leiden Vögel wie Eider- und Samtente unter Beifang aufgrund von Fischerei und Jagd sowie invasiven gebietsfremden Arten, Störungen und Wasserverschmutzung von Land und von See. Der Waldrapp gilt nun als eine von fünf in Europa ausgestorbenen Vogelarten.
Positiv hingegen: Eisvogel, Rotmilan oder Tordalk stehen nicht mehr auf der Roten Liste. Durch Wiederansiedlungsprojekte wurde auch der Bartgeier auf die sogenannte Vorwarnstufe herabgestuft. Zwar haben auch andere Greifvogelarten von gezielten Naturschutzaktivitäten profitiert. Bei denen, die auf Beutetiere angewiesen sind, die im nur begrenzt verfügbaren offenen Busch- oder Grünland leben, ist der Bestand jedoch weiterhin rückläufig.
Die Ergebnisse der Europäischen Roten Liste sind laut NABU ein erneutes Warnzeichen, der Artenkrise grenzübergreifend entgegenzuwirken. Der Umweltverband fordert umfassende Verbesserungsansätze sowohl auf nationaler (durch das vom Bundesministerium ausgerufene „Jahrzehnt der Renaturierung“), europäischer (durch die EU-Biodiversitätsstrategie) als auch auf globaler Ebene, etwa der laufenden Weltnaturkonferenz in Kunming. (NABU)