Nacktschnecke: Geschichte einer Invasion

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Senckenberg-Forschende haben herausgefunden, dass die Spanische Wegschnecke – einer der schlimmsten Landwirtschaftsschädlinge weltweit – auch einen massiven Einfluss auf die heimische Fauna in und um Görlitz hat. In einer kürzlich im Fachmagazin Folia Malacologica erschienenen Publikation zeigt das Team, dass es unmittelbar nach dem Eintreffen der invasiven Art zu Hybridisierungen mit einer heimischen Schneckenart kommt. Diese führen längerfristig zum Aussterben der heimischen Nacktschnecken und einer Ausbreitung des Eindringlings.
Die Spanische Wegschnecke Arion vulgaris gilt als wirtschaftlich bedeutsamer Schädling in der Landwirtschaft. Ihren Ursprung hat die etwa 10 Zentimeter lange Nacktschnecke irgendwo in Südwest-Europa. „Hierzu gibt es verschiedene Studien. Sicher ist, dass sich die Schnecke seit etwa Mitte des vorigen Jahrhunderts weit in Europa ausgebreitet hat. Mittlerweile gibt es Vorkommen bis Skandinavien und Osteuropa – und sogar in Nordamerika wurde sie kürzlich gefunden“, erklärt Dr. Heike Reise vom Senckenberg Museum für Naturkunde in Görlitz und fährt fort: „Wo auch immer die Art auftaucht, erreichen die Populationen innerhalb weniger Jahre beachtliche Größen und verursachen enorme wirtschaftliche Schäden in der Landwirtschaft.“ Was weniger bekannt ist: Arion vulgaris hat auch einen massiven Einfluss auf die heimische Fauna: Die rasante Ausbreitung über Europa hat regional bereits zum Verschwinden der äußerlich ähnlichen einheimischen Roten Wegschnecke (Arion rufus) geführt. „Ein wichtiger Faktor scheint hierbei die Hybridisierung heimischer Wegschnecken mit der Schadart im Initialstadium der Invasion zu sein“, ergänzt Reise.

In einer Langzeitstudie haben Forscher*innen des Senckenberg Museums für Naturkunde Görlitz anhand von 3500 gesammelten Tieren den Ausbreitungsprozess der Spanischen Wegschnecke seit deren Eintreffen im Umkreis von Görlitz und das damit einhergehende Verschwinden der heimischen Roten Wegschnecke verfolgt. Sie zeigen, dass unmittelbar nach Eintreffen der Spanischen Wegschnecke Hybriden, Nachkommen aus Mischverpaarungen, in der Population auftauchen. Diese verschwinden zwar in einem späteren Zeitraum wieder – mit ihnen aber auch die einheimische Art. Übrig bleibt eine starke Population der invasiven Spanischen Wegschnecke. “Der Anteil von Hybrid-Nachkommen in der Population war zeitweise höher als ursprünglich angenommen, denn einige Tiere wurden bislang – aufgrund ihrer Ähnlichkeit – als eine der beiden Elternarten gezählt”, erläutert Reise. Die Forschenden haben zu Vermeidung solcher Fehlinterpretationen ein Set von verschiedenen, zum Teil neuen, Merkmale erarbeitet, mit denen man die Schnecken-Hybriden klar erkennen kann. Reise hierzu: „Die Auslöschung regionaler Arten durch eingeschleppte Invasivarten ist weltweit ein bekanntes Problem beim Artenschutz. Aber vielleicht ist die Spanische Wegschnecke gerade deshalb so erfolgreich, weil sie auf ihrer Expansionsroute immer wieder Genversionen von lokal gut angepassten Populationen aufnimmt.”

Neben den Hybridformen wurde auch die durch eine große morphologische Variabilität schwer zu beschreibende heimische „Elternart“ von dem Malakolog*innen-Team unter die Lupe genommen. „Unsere Studie ergab, dass es in und um Görlitz drei verschiedene Formen gibt, die durch morphologische und genetische Merkmale charakterisiert sind. Die in Görlitz ehemals häufigste entspricht einer im kontinentalen Mittel- und Westeuropa weit verbreiteten Unterart, eine zweite Form ist besonders aus Großbritannien bekannt. Beide Unterarten könnten auf Einschleppungen vor langer Zeit zurückgehen. Die dritte Form ist die in Nordeuropa heimische Schwarze Wegschnecke, deren Vorkommen so weit im Süden allerdings noch unbekannt war.“

Während die beiden ersten Formen mit der Ausbreitung der invasiven Spanischen Wegschnecke aus Görlitz verschwanden, konnte sich die Schwarze Wegschnecke bislang halten. „Die Tiere leben überwiegend in naturnahen Wäldern. Assistiert durch Abladen von Abfällen in Wäldern dringt die Spanische Wegschnecke mittlerweile aber auch in deren Lebensraum vor. Längerfristig könnte dies zu einer weiteren Ausbreitung des Schädlings und zum Aussterben der heimischen Art führen“, schließt Reise. (Senckenberg)