Remmel: „Das wilde NRW ist bedroht“

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Die Landesregierung hat den ersten Baustein der neuen Artenschutzpolitik für Nordrhein-Westfalen auf den Weg gebracht. Mit der neuen Biodiversitätsstrategie NRW sollen konkrete Maßnahmen für einen ambitionierten Artenschutz und den besonderen Schutz wertvoller Lebensräume für Tiere und Pflanzen für das nächste Jahrzehnt festgelegt werden. „Der Verlust an biologischer Vielfalt ist neben dem Klimawandel eine unserer zentralen Herausforderungen“, sagte NRW-Umweltminister Johannes Remmel am 27. August 2014 in Düsseldorf bei der Vorstellung des Entwurfs der neuen Strategie. „Mit der Biodiversitätsstrategie setzen wir ein deutliches Zeichen für den Schutz unseres wertvollen Naturerbes. Das zentrale Ziel unserer Naturschutzpolitik ist es, in den nächsten Jahren den weiter fortschreitenden Artenverlust zu stoppen und die biologische Vielfalt wieder zu erhöhen“, kündigte der Minister an. „Unser Naturerbe ist ein wertvoller Schatz direkt vor unserer Tür. Es ist aber auch ein Schatz, den es immer wieder neu zu entdecken und zu bewahren gilt. Schon jetzt sind wir dabei, die Festplatte unserer Natur unwiederbringlich zu löschen. Das dürfen wir nicht zulassen.“

Nach der letzten Erhebung zur „Roten Liste der gefährdeten Arten in NRW“ sind mittlerweile knapp 45 Prozent der heimischen Tiere, Pilze und Pflanzen gefährdet, vom Aussterben bedroht oder bereits ausgestorben. Auch wertvolle und einzigartige Lebensräume sind gefährdet. „NRW hat eine faszinierende Vielfalt an Arten und Lebensräumen. Aber das wilde NRW ist bedroht. Mit der Neuausrichtung der Naturschutzpolitik wollen wir die biologische Vielfalt für die künftigen Generationen schützen und erhalten. Die Biodiversitätsstrategie ist unser Fahrplan dafür“, betonte Remmel.

Mit der Biodiversitätsstrategie NRW wird ein weiterer politischer Schwerpunkt aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt. Die Strategie bildet eine Standortbestimmung der nordrhein-westfälischen Naturschutzpolitik und ihrer Ausrichtung für die kommenden 10 bis 15 Jahre. Bereits im Vorgriff auf die Biodiversitätsstrategie NRW hat die Landesregierung den Naturschutz-Etat von 18 auf 36 Millionen Euro verdoppelt. „Zwei Euro jährlich pro Einwohnerin und Einwohner ist das Mindeste, was uns unsere Natur wert sein sollte. Mit diesen Mitteln wollen wir die massiven Eingriffe in die Natur zumindest teilweise wieder rückgängig machen. Dazu investieren wir in Artenschutzprojekte und in die Entwicklung von Schutzgebieten. Wir wollen der Natur wieder Räume und damit Möglichkeiten zur freien Entwicklung zurückgeben, die ihr in den letzten Jahrhunderten genommen wurden“, sagte Remmel.

Insgesamt werden in der Biodiversitätsstrategie NRW rund 150 Maßnahmen beschrieben. Dazu gehören zum Beispiel:
• die Novellierung des Landschaftsgesetzes hin zu einem Landesnaturschutzgesetz;
• Ausweisung eines zweiten Nationalparks in Nordrhein-Westfalen;
• Erhöhung des Waldflächenanteils mit natürlicher Waldentwicklung auf etwa fünf Prozent der Gesamtwaldfläche in Nordrhein-Westfalen (Wildniswälder);
• ökologische Entwicklung von Gewässern und Auen mit dem NRW-Programm „Lebendige Gewässer“;
• Schutzprogramme für besonders gefährdete Arten wie Äschen, Wiesenvögel und Wildkatze;
• Reduzierung des täglichen Flächenverbrauchs bis zum Jahr 2020 auf fünf Hektar und langfristig auf null Hektar (netto);
• Erhöhung des Biotopverbundes, also die Durchgängigkeit von Lebensraum zu Lebensraum, von derzeit zehn auf mindestens 15% der Landesfläche;
• Erarbeitung einer landesweiten Konzeption zur Wiederherstellung von Heidegebieten, Magerrasen und Mooren;
• Erhöhung des Anteils standorttypischer Buchenwälder von heute 16 auf mindestens 20%;
• Schutz des Grünlandes einschließlich der Entwicklung bzw. Wiederherstellung von naturnahen Strukturen in der Agrarlandschaft;
• Ausweitung des Vertragsnaturschutzes und des ökologischen Landbaus;
• Förderung der Umweltbildung von der Kita bis zur Hochschule
• und das Erlebbarmachen des wertvollen Naturerbes des Landes für seine Bürgerinnen und Bürger.

Der Entwurf der Biodiversitätsstrategie NRW geht nun in die Anhörung mit Naturschutz-, Waldbauern- und Jagdverbänden sowie den Wirtschaftsverbänden, Städten und Gemeinden. Im Anschluss wird das Kabinett die Strategie beschließen, geplant ist dies bis Ende 2014.

Kiebitz droht bis 2030 auszusterben
Die Ursachen des Artensterbens sind häufig menschengemacht: Hierzu gehören unter anderem die zu intensive Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen, die Zerstörung und Zerschneidung naturnaher Lebensräume und der fortschreitende Flächenfraß. So gehen täglich in NRW etwa 10ha an wertvollen Lebensräumen für eine Vielzahl von Tier-, Pilz- und Pflanzenarten verloren. Zudem verschärfen die Versiegelung von wertvollen Lebensräumen, Schad- und Nährstoffeinträge sowie der Abbau von Rohstoffen die Situation. Hierdurch werden die naturnahen Lebensräume immer weiter verkleinert und voneinander isoliert. Von den insgesamt etwa 12.000 untersuchten Arten in NRW sind daher nach der aktuellen „Roten Liste der gefährdeten Arten“ gefährdet, vom Aussterben bedroht oder bereits ausgestorben:

– rund 42% der Farn- und Blütenpflanzen,
– gut 42% der Säugetierarten,
– mehr als 50% der Vogelarten,
– rund 55% der Schmetterlingsarten
– und zirka 52% der Wildbienen und Wespen.

Die Zahl der bereits ausgestorbenen oder verschollenen Tier- und Pflanzenarten in NRW liegt mit mehr als 9% so hoch wie nie.

Besorgniserregend ist, dass der Gefährdungsgrad typischer Arten der Feldflur und bisher ungefährdeter Allerweltsarten deutlich zunimmt. So droht etwa der Kiebitz bis 2030 auszusterben, wenn sich die bisherige negative Entwicklung bei dieser Art fortsetzt.

Lebensräume nicht im guten Zustand
Viele Lebensräume für wild lebende Tier- und Pflanzenarten in NRW sind weiterhin nicht in einem guten Zustand. Das geht aus dem jüngsten Bericht gemäß der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) für Nordrhein-Westfalen hervor. Demnach ist die Situation insbesondere im nordrhein-westfälischen Tiefland (mit Niederrheinischer und Westfälischer Bucht) deutlich schlechter als im Bergland (Eifel, Sauerland, Siegerland, Bergisches Land und Weserbergland). Nach Untersuchungen des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV) sind rund 77% der Lebensräume im Tiefland in einem unzureichenden oder schlechten Erhaltungszustand, allen voran nährstoffarme Stillgewässer, Moore, Wiesen, Weiden und Hartholz-Auenwälder. Im Bergland sind es hingegen nur rund 32%. „Wenn wir den Verlust an Artenvielfalt begrenzen wollen, müssen wir für intakte Ökosysteme sorgen. Der Schutz und Erhalt der vielfältigen Lebensräume ist daher für unsere Tier- und Pflanzenwelt von existenzieller Bedeutung“, sagte Minister Remmel.

Weitere Informationen zur Biodiversitätsstrategie und zum Thema „Artenvielfalt in Nordrhein-Westfalen“ sind zu finden unterwww.wildes.nrw.de