Schotter im Vorgarten: Was will er mir sagen?

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Der Botaniker und Pflanzensoziologe Theo Müller betonte schon 1988 die Bedeutung des Gartens als Ausdruck einer individuellen Weltbeziehung: „Der Mensch baut im Garten sein Verhältnis zur Welt in die Natur eines überschaubaren Raumes hinein." Mehr als alle anderen Gartentypen kommuniziert der Vorgarten, in welcher Beziehung zur restlichen Welt sein Gestalter steht, weil der Vorgarten in aller Regel öffentlich einsehbar ist. Was wollen wir von uns zeigen? Wo sehen wir uns in Relation zu den Nachbarn? Gehen wir auf Umgebungsfaktoren ein und nutzen sie für uns oder versuchen wir, der belebten Natur unseren Willen aufzuzwingen? Je nachdem, wie der Einzelne diese Fragen beantwortet, ergibt sich eine sehr unterschiedliche Vorgartengestaltung. Die Kasseler Philosophin Dr. Sarah Thelen referierte aktuell beim siebten Garten-Gipfel im pfälzischen Edenkoben über das Thema „Vorgarten und Weltbeziehung". Der Garten-Gipfel ist eine regelmäßig wiederkehrende Veranstaltung des Bundesverbandes Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau e.V. (BGL).

Der Umgang mit dem Vorgarten zeigt nach Einschätzung von Thelen gleichsam stellvertretend für andere Lebensbereiche, wie und in welchem Maße wir die Geschehnisse in unserer Umgebung steuern, unterstützen, bremsen, ungehindert zulassen oder versuchen, sie positiv für uns zu nutzen. Aus diesem Blickwinkel sei der aktuelle Trend zum kiesbedeckten Vorgarten als gesellschaftliches Symptom sehr aufschlussreich. Der Spaziergang oder die Fahrradtour durch eine Wohnsiedlung zeigt die ganze Bandbreite der aktuellen Vorgartenwirklichkeit und deren sehr unterschiedliche Wirkung auf den Betrachter. Ein vollständig verschotterter Vorgarten sendet eine andere Botschaft als ein begrünter oder auch ein verwilderter Vorgarten. Auf den ersten Blick werden so zum Beispiel Einstellungen und Haltungen wie „ordentlich, gepflegt, korrekt, wohlhabend, geschmackvoll, modern, naturverbunden, …" vermittelt – all diese kann man sich mit positivem oder mit negativem Vorzeichen bildlich vorstellen. Darüber hinaus gebe es auch eine zweite Ausdrucksfunktion: Wie steht der Gartenbesitzer der Welt gegenüber? Stichworte sind hier zum Beispiel: „offen oder abgeschottet, einladend, lokal verortet …".

Erklärungsansätze
Wichtig sei, zu verstehen, welche Beweggründe hinter der Popularität der „Verschotterung" von Vorgärten stehen könnten. Grundvoraussetzung ist laut Thelen die seit den 1960er Jahren fortschreitende Individualisierung der Gesellschaft. Sich über Klischees oder vermeintliche Erwartungen hinwegzusetzen, sich wichtig zu nehmen und nur noch Dinge zu tun, die einem selbst gut tun, sind Facetten dieser Entwicklung, die sich unter anderem in der Art der Gartengestaltung zeigen. Max Webers Diagnose einer drohenden „mechanisierten Versteinerung" sowie das Lebensgefühl der Fremdbestimmtheit führten zu einer Verweigerungshaltung gegenüber Dingen, die sich nicht der Selbstoptimierung des eigenen Lebens unterordnen lassen. Neben solchen soziologisch relevanten Aspekten gilt es aber auch, wesentlich einfachere und im Wortsinn naheliegende Erklärungsansätze anzusprechen. Viele Gartenbesitzer stehen der Fläche vor dem Haus hilflos gegenüber und wissen schlichtweg nicht, wie sie ihn gestalten sollen, zumal die Pflegeleichtigkeit ein überragendes Motiv ist. Außerdem gibt es Beratung, die sich für Schottergärten ausspricht. Offensichtlich hat der Vorgarten als sozialer Raum an Bedeutung verloren. Viele Gartenbesitzer unterschätzen den Wert dieser Fläche vor dem Haus für die Atmosphäre ihrer Straße und ihres Viertels, für die Kommunikation mit den Nachbarn und Passanten. BGL-Präsident August Forster machte Mut für ein konsequentes Vorbild: „Wir alle kennen viele gute Beispiele für individuell und attraktiv geplante und gestaltete Vorgärten! Diese gilt es, den Gartenbesitzern zu zeigen, ihnen die Sorge vor dem Pflegeaufwand zu nehmen und stattdessen die vielfältigen Vorteile eines abwechslungsreich bepflanzten Vorgartens zu vermitteln."

Hintergrund
Alle zwei Jahre lädt der Bundesverband Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau e.V. zum Garten-Gipfel ein. Im Juni 2017 war der Kräutergarten Klostermühle in Edenkoben in der Pfalz Veranstaltungsort des Siebten Garten-Gipfels. Mehr als 50 Medienschaffende, Journalisten, Fotografen, Buchautoren, Vertreter des BGL und anderer Verbände waren der Einladung gefolgt und diskutierten zwei Tage lang das Phänomen der zunehmenden Verschotterung von Vorgärten. Der diesjährige Gipfel fügte sich in die Aktivitäten des Verbandes zur Initiative „Rettet den Vorgarten" ein. (BGL)