Trotz Naturschutz sterben spezialisierte Schmetterlinge aus

von

in ,

Was haben Zitronenfalter und große Ochsenaugen gemeinsam? Sie zählen unter den Schmetterlingen, der viertgrößten Organismengruppe der Erde, zu den Habitat-Generalisten. Sie sind anspruchslos hinsichtlich Lebensraum, Raupenfutterpflanzen und trotzen der Stickstoffbelastung besser wie sensible Habitat-Spezialisten. Eine Studie der Technischen Universität München über einen Zeitraum von fast 200 Jahren belegt nun erstmals, dass gerade die Habitat-Spezialisten selbst in Naturschutzgebieten aussterben.

Die Untersuchung basiert auf einer der längsten Beobachtungsreihen, die jemals erhoben wurde und ist in Zusammenarbeit der Technischen Universität München (TUM) mit der Zoologischen Staatssammlung München (ZSM) entstanden. Sie verzeichnet in Bayern den Artenschwund der vergangenen Jahrzehnte – und ist Beleg für einen wenig effektiven Natur- und Artenschutz.

Datenmaterial seit 1840 ausgewertet
Es wurden Artenlisten und Schmetterlingssammlungen seit dem Jahr 1840 bis heute ausgewertet. Sämtliche Daten stammen von Schmetterlingsforschern (Lepidopterologen) aus Gebieten rund um Regensburg. Die dortigen Südhänge entlang der Donauschleifen bestehen im Wesentlichen aus seltenen Magerrasen-Gebieten und damit nährstoffarmen Biotopen für Schmetterlinge und andere Insekten. Etwa 45 ha sind seit 1992 Naturschutzgebiet.

An der Studie beteiligt waren neben der TU München und dem ZSM das Deutsche Entomologische Institut Müncheberg-Senckenberg und die polnische Nikolaus Kopernikus Universität Thorn. Die Ergebnisse der Kooperationsstudie wurden im nord-amerikanischen Fachmagazin “Conservation Biology“ veröffentlicht.

Habitat-Spezialisten sind am anfälligsten
„Die Beobachtung über einen Zeitraum von 200 Jahren bestätigt den allgemeinen Trend, dass spezialisierte Arten stark rückläufig sind, obwohl sie im Fokus des Naturschutzes stehen“, erklärt Dr. Jan Christian Habel vom Lehrstuhl für Terrestrische Ökologie der TU München. Beispielsweise wurden zwischen 1840 und 1849 noch 117 Tagfalterarten und Widderchen (tagaktive Nachtfalter) verzeichnet, zwischen 2010 und 2013 sind es nur noch 71 Arten.

Zudem hat sich die Zusammensetzung der Schmetterlingsarten verändert. Lebte früher eine vielfältige Schmetterlingsgemeinschaft in der Region, dominieren nun wenige Habitat-Generalisten. Verschwunden sind viele Habitat-Spezialisten, die bestimmte Raupenfutterpflanzen und Lebensraumstrukturen zum Überleben benötigen.

Überdüngung verdrängt Raupenfutterpflanzen der Schmetterlinge
Die Ursachen sind laut der Studie vor allem in den hohen Emissionen reaktiven Stickstoffs zu suchen. Reaktiver Stickstoff entsteht etwa bei der Verbrennung von fossilen Brennstoffen, Holz oder Torf, durch die industrielle Verbrennung, durch den Anbau von Hülsenfrüchten und durch die immer intensivere Landwirtschaft der vergangenen Jahrzehnte. Über den Luftweg verändert Stickstoff die Nährstoffzusammensetzung und überdüngt diesen sehr empfindlichen Vegetationstyp.

Flora und Fauna sind aber an eine nährstoffarme Lebensumgebung angepasst. Die Stickstoffzufuhr fördert nun das Wachstum etwa von Pflanzen wie Löwenzahn, Disteln und Sauerampfer. Dies verdrängt die typische Flora und damit für die Schmetterlinge notwendigen Raupenfutterpflanzen. „Habitat-Spezialisten sind sehr stark von diesen Umweltveränderungen betroffen“, sagt Biogeograf Habel von der TU München.

Wenig wirksame Naturschutzgebiete
„Die meisten Schutzgebiete sind sehr klein und isoliert und nur dünn über die Landschaft verteilt", sagt Dr. Habel – "Luftstickstoff macht aber an Grenzen der Schutzgebiete nicht halt.“ Trotz Klimaerwärmung nehmen laut der Studie ebenso die sogenannten thermophilen Arten ab, die es vor allem warm und trocken mögen. Das ist für den Laien zunächst erstaunlich. „Durch die Stickstoffeinträge wächst die Vegetation schneller. Dadurch wird es schattiger am Boden, zu schattig für wärmeliebende Schmetterlinge“, erklärt Habel.

„Die Frage ist doch: Können wir über das etablierte Netz von Fauna-Flora-Habitat-Schutzgebieten überhaupt langfristig einen effektiven Naturschutz erzielen?", wirft Habel ein – "die Antwort ist offensichtlich ‚Nein‘.“