Über Geschmack lässt sich nicht streiten… über Schotterwüsten schon!

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Man muss nicht nachvollziehen können, wie die Nachbarin oder der Nachbar den Vorgarten gestaltet. Denn jeder Mensch empfindet etwas anderes als schön und stilvoll.
Worüber sich aber durchaus streiten lässt, das sind die (gesellschaftlichen) Folgen verschiedener Gartenkonzepte. Denn an diesem Punkt verlässt der Geschmack die Bühne und die Wissenschaft betritt das Podium. „Da sich steinige Gestaltung und Schotteraufschüttungen negativ auf das Wohnumfeld, auf die Biodiversität und Artenvielfalt in der Stadt und auf das Regenwassermanagement der Kommune auswirken, muss das Thema breit diskutiert werden", fordert Achim Kluge vom Bundesverband Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau (BGL) e. V.
Rettet den Vorgarten!
Aus diesem Grund rief der BGL 2017 die Initiative „Rettet den Vorgarten" ins Leben: Ziel war und ist es, eine gesellschaftliche Debatte ins Leben zu rufen und die Öffentlichkeit auf die Problematik von Schotterwüsten aufmerksam zu machen. Dahinter steht auch die Erkenntnis: Zwar ist ein einzelner Vorgarten klein. Aber die Summe vieler Vorgärten in einer Siedlung oder Stadt insgesamt macht eine große Fläche aus – mit messbaren (Aus-)Wirkungen auf das Mikroklima, die Artenvielfalt und die Lebensqualität der Menschen.
Zeitungen, Magazine, Websites und Social-Media-Kanäle, Radio und Fernsehen greifen das Thema seit 2017 verstärkt auf. Auch in vielen Stadt- und Gemeinderäten wird seitdem überlegt, wie Hausbesitzerinnen und -besitzer von gärtnerisch angelegten, bepflanzten Flächen überzeugt werden können.
Denkfehler: Ein Schottergarten ist nicht pflegeleicht
„Die weitgehend pflanzenlosen Schottergärten sind in ihrer Masse klimaschädlich und im Hinblick auf die biologische Vielfalt eine unsinnige Verirrung", bringt es Professor Cassian Schmidt auf den Punkt. Der Landschaftsarchitekt und Staudengärtnermeister leitet den Schau- und Sichtungsgartens Hermannshof in Weinheim und hat eine Professur an der Geisenheim University im Fach Pflanzenverwendung. Er ist ein starker Verfechter von lebendigen, grünen Vorgärten. „Unbepflanzte Schotterflächen wirken genauso schädlich wie eine versiegelte Garageneinfahrt. Denn sie verstärken das Problem der „Heat-Island-Effects" und damit der mangelnden nächtlichen Abkühlung in der Stadt. Und das alles mit dem Argument der vermeintlichen Pflegeleichtigkeit. Das dem aber keinesfalls so ist, zeigt nicht nur die Praxis – es wurde auch längst wissenschaftlich bewiesen!"
Bereits 2017 ergab eine repräsentative GfK-Studie, dass sich die große Mehrheit der Vorgartenbesitzerinnen und -besitzer wegen der Pflegeleichtigkeit für Schotter entschieden hatte. Achim Kluge vom BGL: „Tatsächlich verlangen die Flächen mit der Zeit viel mehr Aufmerksamkeit als eine durchdachte Bepflanzung. Auf der zugeschotterten Fläche landen Laub und Unrat zwischen den Steinen. Auch Unkräuter siedeln sich an – trotz Unkrautvlies unter dem Schotter. Nur mit mühsamer Handarbeit lässt sich dann das scheinbar gepflegte Bild wieder herstellen."
Einfach zurückbauen: nachträgliche Bepflanzung möglich
Daher empfiehlt auch Landschaftsarchitekt Cassian Schmidt, Schotterflächen zurückzubauen: „Es ist nie zu spät für eine Korrektur durch eine nachträgliche Bepflanzung – und einfacher, als viele meinen. Der Schotter muss gar nicht einmal unbedingt völlig entfernt werden, sondern man kann ihn nach Entfernen des Trennvlieses im Pflanzkonzept wieder geschickt verwenden." So lasse sich eine attraktive Bepflanzung unter Nutzung der Steine als Mulchschicht aufbauen. Wichtig sei jedoch, dass grobe Hohlräume mit feineren Teilen wie feinerem Sand oder Splitt aufgefüllt werden, damit auch bodenbrütende Insekten wie beispielsweise Sand- und Mauerbienen, davon profitieren können.
Splitt ist nicht das Problem …
Nicht der Splitt oder – fachlich ausgedrückt – die mineralische Mulchschicht ist das Problem. Vielmehr sind es nicht bepflanzte Flächen, die ökologisch wie ästhetisch nicht für die Erhöhung des Grünanteils in der Stadt genutzt werden.
„Wir verwenden in unseren Pflanzungen auf trockenen Freiflächen durchaus mineralische Mulchdecken, Lava, Sand, Splitt, aber keinen groben Schotter", erklärt Professor Cassian Schmidt. „Allerdings aus einem anderen Grund: Der Mulch wirkt als kapillarbrechende Schicht. Das bedeutet, er reduziert die Verdunstung und damit den Gießaufwand für die Staudenpflanzung erheblich und erleichtert die Pflege. Unter der Mulchdecke bleibt es schön kühl für die Bodenlebewesen und über der Mulchschicht schattieren die Stauden die Fläche."
Wer Steine gut findet, muss sich nicht (ganz) von ihnen verabschieden …
… es ist lediglich wichtig, dass das Material professionell verwendet und mit der richtigen Pflanzenauswahl kombiniert wird. Denn nur, wenn sich die Gewächse in einer entsprechend kargeren Umgebung wohlfühlen, bleiben sie gesund und sind dann tatsächlich pflegeleicht. „Gekonnt gemacht kann auch vor dem Haus durchaus etwas Grau liegen", so Achim Kluge vom BGL. „Doch Grün sollte immer und unbedingt den Ton angeben! Als lebendiger Beitrag zu einem besseren Mikroklima in der Stadt und mehr Artenvielfalt." (Quelle: BGL)