Verkehrsrestflächen: Gut kombiniert

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Verkehrsrestflächen – das Wort klingt so hässlich wie die Situation, die es beschreibt. Ob Kreisverkehr oder Mittelstreifen, Trennstreifen zwischen Haltebuchten oder Ränder von Straßenbahntrassen, wo es Straßen gibt, da sind auch die Verkehrsrestflächen: Bereiche, die zu klein sind, um sie als echte Grünfläche zu nutzen, aber zu groß, um sie zu übersehen, wenn sie vermüllt und mit Hundehaufen übersät, oder mit noch den 60ern entstammendem Grüngestrüpp überwuchert sind. Jede Stadt kennt diese Flächen, die meisten Kommunen möchten sie gärtnerisch aufwerten – aber wie, angesichts chronisch klammer Stadtsäckel? Wenn ‘Trevi Fountain’ Anfang April seine Blüten öffnet, versinkt die Welt in magischem Ultramarinblau. Der Wirkung des 30 cm hohen Lungenkrauts (Pulmonaria) mit den attraktiven weißgefleckten Blättern kann sich niemand entziehen. Selbst Bernd Hertle ist von der Schönheit das robusten Frühblühers immer wieder fasziniert – und das will etwas heißen, schließlich hat er ‘Trevi Fountain’ und 56 weitere Lungenkrautarten und -sorten zwei Jahre lang genauestens unter die Lupe genommen.

„Mit dieser Fragestellung begannen vor rund 20 Jahren an gartenbaulichen Forschungseinrichtungen die ersten Versuche mit sogenannten Staudenmischpflanzungen“, erzählt Cassian Schmidt, Leiter des Schau- und Sichtungsgarten Hermannshof in Weinheim und maßgeblich an der Entwicklung zahlreicher Pflanz- und Pflegekonzepte beteiligt. Stauden, Zwiebelblumen und einige wenige ein- oder zweijährige Pflanzenarten wurden in Bezug auf ihre ästhetischen Vorzüge, ihr Wuchsverhalten und ihre Ansprüche an den jeweiligen Standort sorgfältig aufeinander abgestimmt. „Der Wunsch waren nachhaltige und abwechslungsreiche Pflanzungen, die im Pflegeaufwand zwischen Rasenflächen und aufwändigen saisonalen Bepflanzungen liegen. Dazu mussten wir viel experimentieren und die Zeiten für die notwendigen Pflegearbeiten ermitteln.“ Es wurde ausprobiert, abgewandelt und verfeinert, mit dem „Silbersommer“ gelang schließlich der Durchbruch und es folgten bald weitere Mischungen. Das Ergebnis: „Allein im Arbeitskreises Staudenverwendung des Bunds deutscher Staudengärtner haben wir mittlerweile 35 Mischungen für die Bepflanzung unterschiedlicher Standorte erfolgreich in der Praxis getestet.“

Was das bedeutet, kann man in Städten wie Mannheim, Bensheim oder Ladenburg eindrucksvoll erleben: Üppig blühende und grünende Verkehrskreisel nehmen Besucher an den Stadteingängen in Empfang, ziehen sich einem farbenfrohen Bandwurm gleich entlang der Hauptverkehrsstraßen durch die Stadt und verleihen selbst schlimmsten Bausünden eine ungeahnte Leichtigkeit. „Mannheim ist eine der Städte, die Staudenmischpflanzungen so einsetzt, wie wir uns das wünschen: als durchgängiges Gestaltungskonzept, dass die vielen kleinen und mittelgroßen Flächen optisch miteinander verbindet und sie zu ganzjährigen Blickfängen macht“, stellt Cassian Schmidt fest. Konsequent sind die Mannheimer auch in der Pflege, denn, das ist Schmidt wichtig: „Staudenmischpflanzungen sind keine eierlegenden Wollmilchsäue. Sie sind sehr attraktiv, funktionieren gut und kommen mit einem geringen Pflegeaufwand von jährlich fünf bis sieben Minuten je Quadratmeter aus, im Einzelfall sogar mit knapp zwei Minuten. Aber die wenige Pflege, die anfällt, muss sorgfältig erledigt werden, am besten von entsprechend geschulten Personen.“

Die meisten Pflanzungen sind für sonnige Freiflächen auf mageren Substraten ausgelegt. Das hat viele Vorteile: „Sind stresstolerante Mischungen wie der Silbersommer nach einem Jahr richtig eingewachsen, kann man sich das das Wässern in den Folgejahren im Normfall sparen. Außerdem muss man kaum Unkraut jäten, da die typischen Unkräuter nährstoffhaltigen Boden bevorzugen“, erklärt Schmidt. „Aber ganz ohne Eingriffe kommen aber auch die extensivsten Flächen nicht aus, schließlich handelt es sich immer noch um gärtnerische Anlagen.“ Trotzdem ist nach den neuen Konzepten vieles einfacher, um nicht zu sagen radikal neu: Der jährliche Frühjahrsrückschnitt etwa kann bei vielen Mischungen maschinell vorgenommen werden. In jüngerer Zeit forschten der Professor für Pflanzenverwendung und seine Kolleginnen und Kollegen vor allem an der Entwicklung geeigneter Substratmischungen. „Die Mischungen haben in der Regel einen hohen mineralischen Anteil und sollten nur maximal 10 bis 20 Volumenprozent organische Zuschläge wie zertifizierten, unkrautfreien Grüngutkompost enthalten. Die strukturstabilen, porösen Substrate sorgen zum Beispiel dafür, dass die Stauden Salzeinträge im Winter deutlich besser verkraften, denn die Salze werden einfach mit dem Frühjahrsregen durch die Wurzelschicht hindurchgespült.“

Nachdem anfangs viel Überzeugungsarbeit notwendig war, um Kommunen für die notwendigen Praxistest zu gewinnen, stoßen Staudenmischpflanzungen nun vielerorts auf reges Interesse. „Sie senken die Hemmschwelle, sich wieder intensiver mit Pflanzen auseinanderzusetzen. Nach den ersten Erfolgen sind sowohl die Planer als auch das Pflegepersonal in den Kommunen oft so motiviert, dass sie anfangen, die Konzepte abzuwandeln und weiterzuentwickeln, um der Stadt ein noch individuelleres Gesicht zu verleihen“, beobachtet Cassian Schmidt. Die Gestaltung der Verkehrsrestflächen wird als Möglichkeit zur Imagepflege wahrgenommen – zunehmend auch von Firmen, eine Entwicklung, die Schmidt ganz besonders freut. „Da ist noch so viel Potenzial, ob das nun die Flächen um Krankenhäuser, Bürogebäude oder Fabriken sind. Der Wohlfahrtseffekt von Pflanzen und grüner Freiraumgestaltung auf die Mitarbeitergesundheit und Leistungsfähigkeit wurde zwar nachgewiesen, wird aber noch viel zu wenig genutzt – aber das ändert sich gerade.“ Der gelernte Staudengärtner und Landschaftsarchitekt ist sicher: Die Wertschätzung für Pflanzen im Allgemeinen und Stauden im Speziellen kehrt zurück. Was für eine schöne Aussicht. (GMH)